Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung
meisten Gebäude aus Holz - mit Ausnahme der Gaskammern - in Flammen aufgegangen. Die übriggebliebenen Gefangenen mußten den Rest des Lagers demontieren und alle Spuren der Vernichtung beseitigen. Schließlich wurden sie selbst erschossen. Die Deutschen pflügten den Boden um, pflanzten Lupinen und errichteten auf dem Gelände einen Bauernhof, auf dem man eine ukrainische Bauernfamilie ansiedelte.
Demjanjuks Identifizierung
Demjanjuk wurde 1920 in einem kleinen Dorf im Kreis Kiew geboren. Nach dem ersten Weltkrieg war die Ukraine der Sowjetunion einverleibt worden. Zu Beginn der dreißiger Jahre - Demjanjuk war damals etwa zwölf - verursachte Stalin mit seiner Landwirtschaftspolitik künstliche Hungersnöte, die Millionen von Leben in einem Land forderten, das einmal als >Kornkammer Europas* bekannt gewesen war. Als die Deutschen in die Sowjetunion einmarschierten wurde Demjanjuk - inzwischen ein neunzehnjähriger Traktorfahrer auf einer Kolchose - in die Rote Armee einberufen. Seine Loyalität gegenüber der Sowjetunion war nicht groß, aber in der Armee hatte er zumindest die Aussicht, ernährt zu werden. Im Mai 1942 geriet er nach einer Schlacht auf der Krim in Kriegsgefangenschaft. Das Lager in Chelm (Polen), in dem Demjanjuk landete, war nicht viel mehr als ein mit Stacheldraht um-zäuntes offenes Feld. Die Gefangenen schliefen in selbstgegrabenen Löchern, die im Herbst voller Wasser standen, wenn es regnete. Nahrung gab es kaum. Gras essen, Kannibalismus, Verseuchung, Massensterben - Demjanjuk fand in diesem Lager wieder, was er in den dreißiger Jahren bereits zu Hause erlebt hatte.
Ab dem Frühjahr 1942 begann die deutsche Armee damit, in den Lagern Freiwillige für »Sicherheitseinheiten* zu rekrutieren,
um sie bei der Jagd auf Juden und der Bewachung von Konzentrations- und Vernichtungslagern einzusetzen. Viele Ukrainer sahen in Stalins Regime eine Verschwörung jüdischer Bolschewiken, was ihren Antisemitismus noch verstärkte; für die deutschen Behörden waren sie ideale Handlanger. Im polnischen Trawniki war auf dem Gelände einer verlassenen Zuckerfabrik ein spezielles Trainingslager für eine Ausbildung zum SS-Wachmann eingerichtet worden. Im Juli 1942 meldete sich Demjanjuk freiwillig für Trawniki.
Bis zu diesem Punkt gab es zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung keine Meinungsverschiedenheit über Demjanjuks Kriegsjahre, auch nicht nach dem Fund neuer Dokumente in der ehemaligen Sowjetunion. Angesichts des späteren Prozesses ist es bemerkenswert, daß die ersten Dokumente angaben, Demjanjuk habe in Sobibor gearbeitet, nicht in Treblinka. Für Kriegsverbrechen, die in Treblinka begangen wurden, richtete sich die Aufmerksamkeit vor allem auf einen anderen Ukrainer, Fjodor Fede-renko. Beide Namen fanden sich auf einer Liste mit Ukrainern, die in den Vereinigten Staaten wohnten und die man verdächtigte, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Anfang 1976 bat die amerikanische Einwanderungsbehörde eine spezielle Abteilung der Polizei in Israel, Zeugen zu suchen, die in Sobibor oder Treblinka gewesen waren. Die israelische Einheit für die Untersuchung von Nazi-Verbrechen (INC) war die Folgeorganisation des >06 Büros<, einst ins Leben gerufen, um den Prozeß gegen Eichmann vorzubereiten. Dem INC wurden 17 Fotos ukrainischer Verdächtiger zur Verfügung gestellt. Die Leitung der Ermittlungen übernahm die damals siebzigjährige Frau Radiwker. Sie setzte eine Anzeige in die Zeitung mit der Mitteilung, man führe eine Ermittlung gegen die »Ukrainer Iwan Demjanjuk und Fjodor Federenko« durch und bitte Überlebende von Sobibor und Treblinka, sich zu melden. Mit diesem Text gab sie also schon vor Beginn des tatsächlichen Identifikationsverfahrens die Namen preis. Die 17 Fotos waren auf Karton geklebt worden und konnten nicht einzeln betrachtet werden. Es gab keine >Ablenker<, alle Fotos waren Porträts von Verdächtigen.
Die Albumseite, auf der die Fotos von Demjanjuk (16) und Federenko (17) klebten
Als sich die ersten Zeugen Turowski und Goldfarb meldeten, richtete sich die Ermittlung auf Federenko. Es gab zu diesem Zeitpunkt keinen Grund anzunehmen, daß sie - als Überlebende von Tre-
blinka - Demjanjuk kannten. Turowski hatte als Monteur in der Maschinenwerkstatt von Treblinka gearbeitet. Er behauptete, erst zögernd und dann mit immer größerer Sicherheit, Federenko zu erkennen. Die ganze Zeit über war daneben Demjanjuks Foto zu sehen gewesen, aber über ihn verlor Turowski kein
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