Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung
hermetisch abgeriegelt waren, wurde ein Dieselmotor gestartet, der aus einem erbeuteten russischen Panzer stammte und Kohlenmonoxid produzierte. Über Röhren, auf die man Duschköpfe montiert hatte, gelangte das Gas in die Kammern. Nach dreißig bis vierzig Minuten waren alle tot. Deutsche Soldaten horchten an der Tür. Auf ihr »Alles schläft« wurde diese geöffnet. Weil man Hunderte von Menschen in einen kleinen Raum gequetscht hatte, konnte keiner umfallen oder zusammensacken. Wenn die Tür aufging, standen alle noch aufrecht. Zwischen der Ankunft auf dem >Bahnhof< und der Beseitigung der Leichen lagen keine zwei Stunden.
Für viele der Opfer muß die Maskerade überzeugend gewesen sein. Während der Nürnberger Prozesse (1945-1946) erzählte einer der Überlebenden, Samuel Rajzman, daß eines Tages ein Zug aus Wien ankam. Eine etwa achtzigjährige Frau meldete sich bei SS-Unterkommandant Kurt Franz mit einem Dokument, das bescheinigte, daß sie Freuds Schwester sei. Sie flehte ihn an, in einem Büro arbeiten zu dürfen. Franz tat so, als würde er das Dokument sorgfältig studieren, antwortete dann, daß hier ein Irrtum im Spiel sein müsse, ging mit ihr zur Tafel mit den Abfahrtszeiten der Züge und sagte, in zwei Stunden könne sie einen Zug zurück nach Wien nehmen. Wenn sie nun ihre Habseligkeiten hier ließe und zum Badehaus ginge, lägen bei ihrer Rückkehr die Dokumente und eine Fahrkarte nach Wien für sie bereit.
Das Lager wurde von zwanzig bis dreißig SS-Leuten geleitet. Der aus Belzec herübergekommene Kurt Franz war für den täglichen Ablauf der Dinge verantwortlich. Man fürchtete ihn wegen seiner absoluten Willkür, mit der er Menschen mißhandelte und standrechtlich exekutierte. Franz ließ sich auf seinen Inspektionen von seinem Hund Barry begleiten, der darauf abgerichtet war, den menschlichen Unterleib anzufallen. Für die eigentliche Bewachung des Lagers wurden Ukrainer eingesetzt. Diese Männer waren ursprünglich Kriegsgefangene, aber sie konnten freikommen, wenn sie sich zum SS-Wachmann ausbilden ließen. In Treblinka arbeiteten etwa hundert dieser Bewacher. Die Arbeit, die zur Vernichtung gehörte, wurde von einem Sonderkommando jüdischer Zwangsarbeiter erledigt. Diese >Arbeitsjuden< mußten die Kleidung sortieren, die Frauen kahlscheren, die Gaskammern leeren und reinigen, Goldzähne rausbrechen, die Leichen begraben. Anfangs herrschte eine hohe Fluktuation. Während des Eichmann-Prozesses (1961) erzählten Überlebende, daß die meisten das nur ein paar Tage aushielten und morgens beim Appell darum baten, exekutiert zu werden. Elijahu Rosenberg, der auch im Demjan-juk-Prozeß aussagte, berichtete 1961, daß sich nach dem ersten langen Tag, an dem sie Leichen wegräumen mußten, Männer in den Baracken an ihren Hosengürteln aufhängten und sich gegenseitig halfen, die Stühle wegzuziehen. Später führte Stangl eine Art Arbeitsteilung ein, und eine relativ dauerhafte Gruppe von >Arbeitsjuden< blieb am Leben.
In den ersten Frühlingstagen des Jahres 1943 besuchte Himmler das Lager. Er gab den Befehl, die Leichen zu verbrennen, auch die, die man bereits begraben hatte. Mit einem Bagger wurden die Massengräber geöffnet und geleert. Die Leichen wurden auf einem Rost aus Eisenbahnschienen eingeäschert. Zum Sommer hin waren die Gräber nahezu leer, und die >Arbeitsjuden< merkten, daß immer weniger Opfer herbeitransportiert wurden. Sie zogen die Schlußfolgerung, daß das Lager über kurz oder lang geschlossen werden würde und sie selbst schließlich auch in den Gaskammern landen würden. Man plante einen Aufstand. Am Mittag des 2. August 1943 öffneten sie mit einem Zweitschlüssel das Waffenmagazin. Aber noch während die Waffen verteilt wurden, bekamen deutsche Wachen Wind von dem Aufstand, und man mußte den Plan, das Lager zu besetzen, aufgeben. Rund siebenhundert Gefangene bestürmten daraufhin die Umzäunung. Die meisten wurden von den Wachtürmen aus erschossen. Nur etwa sechzig Menschen gelang die Flucht in die umliegenden Wälder, und sie hielten lange genug durch, um die Befreiung mitzuerleben. Einige von ihnen schrieben Berichte oder Memoiren über ihren Aufenthalt in Treblinka. Der Bericht von Yankel Wiernik, einem jüdischen
Zimmermann aus Warschau, erschien bereits 1945, später notierte auch Richard Glazar aus Prag seine Erinnerungen. Die meisten Zeugen im Fall Demjanjuk stammten aus der Gruppe, die am 2. August entkam. Bei dem mißlungenen Aufstand waren die
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