Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung
Darin sammelte er den Sachverstand und die Routine, die es ihm ermöglichen, Positionen und Entwicklungen in der Partie als Einheiten zu speichern und so sein Gedächtnis vor Überbelastung zu schützen. Das Wissen, das bereits in seinem Gedächtnis vorhanden ist, hilft ihm, in den Partien des Simultanspiels Muster wiederzuerkennen.
Diese Schlußfolgerung führt zu einem Paradox. Ein Teil der Erklärung für Sijbrands phänomenale Gedächtnisleistung liegt in der Feststellung, daß er gleichzeitig weniger und mehr behält. Weniger, weil er die Stellung nicht als Addition aller einzelner Positionen der Steine behält, sondern als ein Muster, das in seiner Gänze gespeichert wird. Mehr, weil dieses Muster seinerseits ein ganzes Netzwerk von Assoziationen an früher schon einmal gespielte oder studierte Partien mitschwingen läßt. Das wirkliche Rätsel ist, wie es möglich ist, daß jemand so brillant Dame spielen kann, nicht, daß er das auch blind kann und gegen zwanzig Gegner gleichzeitig.
Literatur
A. Binet & L. Henneguy, La psychologie des grands calculateurs et joueurs d'echecs , Paris 1894.
R. Fine, »The psychology of blindfold chess. An introspective account«, Acta Psychologica, 24 (1965), 352-370.
A.D. de Groot & F. Gobet, Perception and memory in chess. Studies in the heuri-stics of the professional eye, Assen 1996.
R.W. Jongman, Het oog van de meester, Assen 1968.
T. Sijbrands, »Goudse notities«, Dämmen, 141 (2000), 15-26.
T. Sijbrands, Wereldrecord blindsimultaan dämmen, Gouda 2000.
Trauma und Erinnerung: der Fall Demjanjuk
Zwischen August 1942 und August 1943 arbeitete im polnischen Vernichtungslager Treblinka ein Ukrainer, der wegen seiner außergewöhnlichen Grausamkeit und seines riesenhaften Körperbaus den Beinamen >Iwan Grosny< bekam, Iwan der Schreckliche. Er bediente den Dieselmotor, mit dem das Gas für die Gaskammern produziert wurde. Iwan war mitschuldig am Mord an 850.000 Juden.
Rund dreißig Jahre später, 1975, wurden zum ersten Mal Verdächtigungen gegen einen gewissen John Demjanjuk, Arbeitnehmer bei den Fordwerken in Cleveland, Ohio, geäußert. Er stammte aus der Ukraine und wohnte seit 1951 in den Vereinigten Staaten. Seine Stelle hatte er seiner Geschicklichkeit im Umgang mit Maschinen zu verdanken. Der Name Demjanjuk stand auf deutschen Dokumenten, die von der Roten Armee bei Kriegsende beschlagnahmt worden waren. Die Sowjetunion hatte sie amerikanischen Senatoren zugeschickt. Das amerikanische Recht sieht keine Möglichkeit vor, Bürger für Kriegsverbrechen zu verfolgen, die anderswo begangen wurden. Aber wenn nachgewiesen werden kann, daß jemand während des Immigrationsverfahrens gelogen hat, kann ihm die Staatsbürgerschaft aberkannt werden. Nach dem Krieg saß Demjanjuk von 1947 bis 1951 in einem deutschen Lager für Staatenlose. Dort wurde er von Mitarbeitern der amerikanischen Einwanderungsbehörde vernommen, unter anderem über seine Kriegsjahre. Demjanjuk erklärte damals, er sei zwischen 1937 und 1943 »Bauer in einem polnischen Weiler namens
Sobibor« gewesen. Das stand im Widerspruch zu den deutschen Dokumenten, die angaben, daß ein Ukrainer mit dem Namen Iwan Demjanjuk im Lager Trawniki für den Dienst in Konzentrationslagern ausgebildet worden war. Demjanjuk wehrte sich in einer langen Reihe von Prozessen gegen die Aberkennung der Staatsbürgerschaft, wurde aber letztendlich nach Israel ausgewiesen. Viele werden sich noch an die Bilder eines tobenden Demjanjuk auf der Flugzeugtreppe erinnern. Der Prozeß, der ab 1987 in Jerusalem stattfand, drehte sich um die Frage, ob es sich bei John Demjanjuk und Iwan dem Schrecklichen um ein und dieselbe Person handelte.
Dreimal Demjanjuk.
Foto 1 stammt aus dem Jahre 1942 und gehört zum Trawniki-Personalausweis. Demjanjuk ist hier 22 Jahre alt. Foto 2 ist 1951 vom amerikanischen Immigrationsdienst aufgenommen worden. Foto 3: Demjanjuk im Alter von 25 Jahren. Dieses Foto wurde erst 1987 entdeckt und konnte damals bei der Identifizierung keine Rolle mehr spielen, weil alle schon die anderen Fotos gesehen hatten.
Die israelische Staatsanwaltschaft versuchte auf zwei Arten, Demjanjuk mit Iwan zu verbinden. Während der Beweisaufnahme bezeugten mehrere Überlebende von Treblinka - Juden, die Zwangsarbeit bei den Vergasungen verrichtet hatten und nach einem Aufstand am 2. August 1943 entkommen waren -, daß sie Iwan auf dem Foto erkannten, das die Einwanderungsbehörde 1951 von Demjanjuk gemacht hatte. Zweitens gab
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