Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung
Wort. Goldfarb erkannte Federenko nicht, erklärte aber, der Mann auf Foto 16 käme ihm bekannt vor. Er nannte weder den Namen Demjanjuk noch den von Iwan. Es gibt guten Grund zur Annahme, daß die Verbindung zwischen diesen beiden Namen (ohne Absicht) von Frau Ra-diwker suggeriert wurde. Leider hatte sie die Angewohnheit, erst hinterher, und dann auch noch kurz gefaßt, einen Bericht über die Identifizierung zu schreiben, und zu Zeiten des Prozesses in Jerusalem - als sie inzwischen 81 Jahre alt war - konnte man über den genauen Hergang nicht mehr viel herausfinden.
Am nächsten Tag wurde Turowski erneut befragt. Diesmal erklärte er, sowohl den Namen Demjanjuk als auch den Iwans zu kennen. Außerdem erkannte er Iwan »unmittelbar und mit vollkommener Sicherheit« auf Foto 16. Die Frage ist natürlich, ob er wirklich Iwan erkannte oder das Foto, das er am Tag zuvor neben Federenko gesehen hatte. Ein weiteres Problem ist das Abwägen zwischen positiven und negativen Identifizierungen. Einer der Überlebenden von Treblinka, Schlomo Helman, hatte beim Bau der Gaskammern mitgeholfen und war bis zum Aufstand im Lager gewesen. Er hatte viele Monate Seite an Seite mit Iwan gearbeitet. Er schätzte ihn auf etwa dreißig Jahre. Der Name Demjanjuk sagte ihm nichts, genauso wenig wie der Mann auf Foto 16. Federenko auf Foto 17 kam ihm allerdings bekannt vor. Ein anderer Zeuge, den man in dieser Zeit anhörte, war Elijahu Rosenberg. Er sah in Foto 16 eine große Ähnlichkeit mit dem »Ukrainer Iwan, der in Lager 2 arbeitete und der Iwan Grosny genannt wurde«, dieselbe Gesichtsform, rund, etwas kahl, dicker Nacken, schweres Kinn. Aber Rosenberg erklärte auch: »Ich weigere mich, ihn mit absoluter Sicherheit zu identifizieren.« Außerdem fiel ihm bei einer Identifikation Federenkos weiter nichts Besonderes auf, obwohl sich das Foto von Demjanjuk daneben befand.
Kurzum, die Zeugenaussagen gegen Federenko waren von Anfang an überzeugender als die gegen Demjanjuk. Sie besiegelten auch ohne viel Aufhebens sein Schicksal. Während eines Prozesses, der 1979 in den Vereinigten Staaten stattfand, gab Federenko zu, SS-Wachmann in Treblinka gewesen zu sein. Er wurde in die Sowjetunion ausgewiesen, wo er im Sommer 1986 vor Gericht stand. Kurz darauf wurde er von einem Exekutionskommando erschossen.
1979 gab die Sowjetunion neue Informationen frei. Aus erbeuteten deutschen Dokumenten kam ein Personalausweis mit Foto auf den Namen Iwan Demjanjuk zum Vorschein, das sogenannte Trawniki-Dokument. Das Foto sollte aus dem Jahre 1942 stammen. Auf dem Personalausweis stand auch seine Identifikationsnummer: 1.393. Er war auf den 27. März 1943 datiert und gab Sobibor als Standort an. Gleichzeitig legte die Sowjetunion den Bericht eines Verhörs von Ignaz Danilchenko vor, ein Mitbewacher, der in Trawniki gewesen war und erklärte, er habe sowohl in Sobibor mit Demjanjuk gearbeitet als auch später noch in Konzentrationslagern in Flossenbürg und Regensburg. Mit Danilchenko selbst konnten die Ermittler nicht sprechen, sie mußten sich mit einem schriftlichen Bericht seiner eidesstattlichen Erklärung begnügen. Die amerikanischen Ermittler - der Prozeß Demjanjuk spielte sich damals noch ausschließlich in den Vereinigten Staaten ab - klebten das unerwartet zur Verfügung stehende Porträt in eine Reihe von acht Fotos und baten die israelischen Ermittler, diese >Trawniki-Serie< Zeugen vorzulegen. Identifikationen Demjanjuks inmitten von sieben >Statisten< besäßen tatsächlich eine größere Überzeugungskraft, aber das Problem war diesmal, daß nahezu alle Zeugen damals schon mit dem Foto aus dem Jahre 1951 vertraut waren. Die amerikanische Einwanderungsbehörde selbst verspielte 1980 eine einzigartige Chance, einen Zeugen mit dem Trawni-ki-Foto zu konfrontieren, bevor dieser das Foto von 1951 gesehen hatte. Zeuge Chil Meir Rajchman bekam erst eine Serie mit den Fotos aus dem Jahr 1951 vorgelegt und danach die Trawniki-Serie. Bei dieser Gelegenheit erkannte er zwar das Foto von 1951, nicht aber das Trawniki-Foto. Ein Jahr später, während des Prozesses in Cleveland, erkannte er das Trawniki-Foto dann doch.
Die Trawniki-Serie. Demjanjuk ist der Zweite von links unten.
Der amerikanische Richter urteilte, daß inzwischen ausreichend Beweise dafür vorlägen, daß Demjanjuk die Einwanderungsbehörde 1951 belogen hatte. Egal, ob er nun in Sobibor oder in Treblinka gearbeitet habe, er sei jedenfalls in jenen Jahren kein Bauer gewesen, und auch
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