Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung
Dejä-vu-Erlebnisses begünstigen, sind schon mehr Muster zu erkennen: Müdigkeit, Streß, Erschöpfung, traumatische Erlebnisse, Krankheit, Alkohol, Schwangerschaft. Das sind dieselben Umstände, unter denen Depersonalisation auftreten kann, eigentlich das einzige psychische Phänomen, das eine deutliche Beziehung zu Dejä-vu-Erlebnissen hat.
Dennoch ist die Schlußfolgerung, daß dann auch alle Hypothesen gleich wahrscheinlich sind, zu düster. Daß jemand ein Dejä-vu-Erlebnis in dem Moment haben kann, in dem er sein Mobiltelefon zur Hand nimmt, kann man kaum der Resonanz aus einem früheren Leben zuschreiben. Wenn Dejä-vu-Erlebnisse durch die Übereinstimmung mit früherer Erfahrung entstehen, geträumt, phantasiert oder wirklich erlebt, wird es wieder um so rätselhafter, weshalb sie unter Umständen auftreten, die auch das Gegenteil, ein vollkommenes Fehlen von Wiedererkennung, begünstigen. Heymans Überlegung aus dem Jahre 1904, eine überzeugende Theorie müsse beiden Phänomenen gerecht werden, gilt immer noch. Nach der Hypothese von der Übereinstimmung mit früherer Erfahrung müßten Dejä-vu-Erlebnisse viel häufiger Vorkommen und dann vor allem in alltäglichen, sich immer wiederholenden Szenen, nicht während Reisen oder den seltenen Momenten von Erschöpfung oder Spannung. Dieselbe Relativierung gilt für die Hypothese vom >Doppelbild<, der zweimal verarbeiteten Wahrnehmung. In Situationen, in denen wir wirklich zweimal dasselbe verarbeiten, wie etwa beim Lesen eines Textes, den man kurz vorher schon einmal mechanisch durchgelesen hat, ohne etwas aufzunehmen, zeigt sich nichts Dejä-vu-Artiges. Heymans' Hypothese, bei einem Dejä-vu-Erlebnis werde die aktuelle Wahrnehmung durch eine zeitweilige Konzentrationsstörung mit zu schwachen und zu wenigen Assoziationen versorgt und ähnele dadurch einer vagen Erinnerung, hat auch im Licht späterer Forschungen noch gute Chancen. Derartige Störungen können durch die unterschiedlichsten Ursachen auftreten: durch Alkohol, einem zeitweiligen Sauerstoffmangel während der Schwangerschaft, einem traumatischen Ereignis, der Spannung, die einem öffentlichen Auftritt vorangeht, Erschöpfung. Das erklärt, weshalb ein Dejä-vu eine seltene Erfahrung ist und leicht in Depersonalisation übergehen kann.
Die Pariser Lokalisationsversuche bei Epilepsiepatienten ermöglichten einen experimentellen Zugriff auf eine Erfahrung, die bislang vor allem als subjektives Erlebnis untersucht wurde. Wenn elektrisch erzeugte Dejä-vu-Erlebnisse das künstliche Äquivalent einer Störung sind, die in einer viel leichteren Form auch schon mal spontan entsteht, geht die Bedeutung dieser Experimente auch viel weiter als das Wo. Daß nun ein neurologischer Mechanismus spezifiziert wurde, der genau die drei illusorischen Elemente eines Dejä-vus erzeugen kann - vertraut, fremd, beunruhigend -, aber auch die Fremdheit einer Depersonalisation, ist ein schönes Beispiel einer unerwarteten Konvergenz. Wenn Befunde, die mit solch unterschiedlichen Instrumenten wie Umfragen und Elektroden plötzlich in dieselbe Richtung weisen, vermittelt das eine fast ästhetische Befriedigung. Diese Analyse wird jedoch nicht das letzte Wort sein, das über die Ursachen von De-jä-vu-Erlebnissen gesprochen werden wird, vielleicht noch nicht einmal der Anfang des letzten Worts. Aber es kann, wie Churchill es einmal in einem anderen Zusammenhang ausdrückte, das Ende des Anfangs sein.
Im Frühjahr 1949 machte der niederländische Dichter Gerrit Achterberg mit seiner Frau Cathrien und dem befreundeten Ehepaar Chetty und Jim ter Kuile eine Autoreise nach Frankreich. Achterberg wollte dort das Haus besuchen, wo sein Kollege Mars-man seine letzten Monate verbracht hatte. Die Vorbereitungen waren nicht unproblematisch verlaufen. Achterberg stand noch unter Sicherheitsverwahrung, die ihm nach dem Mord an seiner Zimmerwirtin im Jahre 1937 auferlegt worden war und die immer wieder um ein oder zwei Jahre verlängert wurde. Er mußte seinen Psychiatern jede Reise vorab melden und hatte keine freie Verfügung über einen Paß. Letzteres konnte Ter Kuile dank seiner Haager Verbindungen regeln. Im April brach die Gesellschaft in Ter Kuiles Ford nach Südfrankreich auf. Achterberg hatte einen Notizblock bei sich, berichtete Chetty ter Kuile dem Biographen
Wim Hazeu, in dem er ailes notierte, was unterwegs geschah, bis hin zu den Kilometerständen. Die Sammlung Autotraum (1954) mit Gedichten wie »Riviera«,
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