Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung
diese Erkenntnisse über Dejä-vu-Erlebnisse unter pathologischen Umständen eigentlich über die Dejä-vu-Erlebnisse aussa-gen, die viele Leute aus eigener Erfahrung kennen. Schizophrenie und Epilepsie sind zum Glück Erkrankungen, die nicht oft Vorkommen, und selbst wenn, sind Dejä-vu-Erlebnisse selten, die übergroße Mehrheit schizophrener oder epileptischer Patienten hat nicht häufiger Dejä-vu-Erlebnisse als eine willkürlich andere Gruppe von Menschen. Das Verhältnis zur Pathologie ist asymmetrisch: bei einer kleinen Gruppe von Patienten sind sie Teil des klinischen Bilds, umgekehrt sind sie keine Hinweise auf Pathologie. Die Kategorie >Dejä-vu-Erlebnis< kommt in den diagnostischen Handbüchern von Psychiatern nicht vor. Man kann sich dann auch fragen, welche Einsicht die Auslösung von Dejä-vu-Erlebnissen mit Hilfe von Elektroden in normale, spontan auftretende Dejä-vu-Erlebnisse gibt. Außerhalb neurologischer Kliniken läuft doch niemand mit Elektroden im Kopf herum? Fragen wie diese sind angemessen, aber sie werden dem Gewinn nicht gerecht, der ganz entschieden zu verbuchen ist. Pathologische Bedingungen ergeben oft eine Vergrößerung von Erscheinungen, die unter normalen Umständen zu flüchtig oder zu nichtig sind, um sie gut beobachten zu können. Daß manche epileptische Dejä-vu-Erlebnisse experimentell ausgelöst werden können, gibt Neurologen die Chance, ihren anatomischen Ursprung zu lokalisieren. In der Neuropsychologie kann das Wo der Anfang des Wie und Warum sein.
ln diesem speziellen Fall eines neuronalen Kreises dreier Hirnstrukturen, die, je nach Anteil, Gefühle wie Fremdheit, Vertrautheit oder Angst verursachen können, gibt es eine elegante Parallele zu Erkenntnissen, die auf einem ganz anderen Gebiet (und zu einer anderen Zeit) gesammelt wurden. Heymans stellte 1904 fest, daß Dejä-vu-Erlebnisse und Depersonalisation subjektiv entgegengesetzte Erfahrungen sind, während sie doch bei denselben Personen unter denselben Umständen Vorkommen. Das verwies seiner Ansicht nach auf einen verborgenen Zusammenhang - beiden Erfahrungen mußte derselbe Prozeß zugrunde liegen. Die Experimente, die fast ein Jahrhundert später in der Klinik Sainte-Anne durchgeführt wurden, suggerieren, daß dies tatsächlich der Fall ist.
Ovale Spiegel
Dejä-vu-Erlebnisse sind aus drei Illusionen gesponnen. Sie fühlen sich wie eine Erinnerung an, sind es aber nicht, sie lassen einen glauben, man wisse, was geschehen wird, während man nichts wirklich Vorhersagen kann, und sie rufen eine vage Angst hervor, für die kurz darauf absolut kein Grund vorhanden zu sein scheint. Dieser dreifache Betrug, wie leicht und ätherisch er auch sein mag, hat einen verwirrenden Effekt. Er läßt einen ein paar Augenblicke bei dem anhalten, was unter normalen Umständen ein fließender Strom von Assoziationen ist. Die Verdoppelung eines Erlebnisses, das gleichzeitig neu und vertraut ist, ruft unmittelbar eine zweite Verdoppelung introspektiver Art auf, die verwunderte Beobachtung der eigenen Erfahrung. Alle Dejä-vu-Erlebnisse haben diesen Spiegeleffekt gemein. Danach gibt es Unterschiede. Dejä-vu-Erlebnisse sind flüchtig, aber sie kommen auch in einer chronischen Variante vor. Sie können spontan auftreten, aber auch durch elektrische Reizung ausgelöst werden. Das eine Dejä-vu-Erlebnis wird routiniert als vorübergehende Illusion eingeordnet, das andere verliert sich in einem schizophrenen Wahnsystem. Oft entstehen sie ohne beweisbare neuronale Störung, sie können auch der Beginn eines epileptischen Anfalls sein. Es ist unwahrscheinlich, daß eine einzige Erklärung auf alle Varianten zutrifft. Der zur Zeit produktivste Autor über Dejä-vu-Erlebnisse, Her-man Sno, schreibt in einem Übersichtsartikel, daß die Erkenntnisse unterschiedlicher Forscher einander ziemlich widersprechen. Der eine stellt einen Zusammenhang mit neurotischen Beschwerden fest, die bei wieder einem anderen nicht Vorkommen oder erst recht negativ damit korreliert. Alter, Intelligenz, sozialökonomischer Status, ethnischer Hintergrund - das sind Stück für Stück Faktoren, die zwar untersucht sind, aber keine eindeutige Beziehung zu Dejä-vu-Erlebnissen haben. Die Häufigkeit dieser Erlebnisse variiert je nach untersuchter Kategorie. Es gibt keinen Konsens über die Frage, ob der Unterschied zwischen >normalen< und chronischen Dejä-vu-Erlebnissen graduell oder von qualitativer Art ist. Unter den Umständen, die das Auftreten eines
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