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Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)

Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)

Titel: Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)
Autoren: Götz Aly
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geht«. [342]
    Zu Beginn des Wahljahrs 1930 zählte die NSDAP 200 000 Mitglieder, am Ende 350 000. Gleichzeitig säuberte die Parteiführung die Mitgliedschaft von Abweichlern und säumigen Beitragszahlern. In der Reichstagswahl vom 20. Mai 1928 hatten die Nationalsozialisten lediglich 800 000 Stimmen auf sich vereinigt und eine Reichstagsfraktion von zwölf Mitgliedern gestellt. In den Wahlen vom 14. September 1930 gewann die NSDAP knapp 6,5 Millionen Stimmen und 107 Mandate. Sie steigerte die Zahl ihrer Wähler um 800 Prozent, stellte die zweitstärkste Fraktion und errang einen unerwarteten, überwältigenden Sieg. Die KPD gewann im Vergleich zur vorangegangenen Reichstagswahl 40 Prozent hinzu und schickte 77 Abgeordnete ins Parlament. Die SPD verlor 20 Prozent ihres Stimmenanteils, blieb jedoch mit 143 Mandaten stärkste Fraktion. Das katholische Zentrum hielt sich (68 Mandate), die liberalen Parteien lagen unwiderruflich in der Agonie. In den Reichstagswahlen des Jahres 1932 machten die Deutschen die NSDAP zur mit Abstand stärksten Partei. Selbst während der Weltwirtschaftskrise schaffte es Hitler also nicht, die 30 Millionen lohnabhängigen Wähler und Wählerinnen auf seine Seite zu ziehen, von denen er 1926 in der Stuttgarter Liederhalle gesprochen hatte und die er zu gleichermaßen »fanatischen Nationalisten und glühenden Anhängern einer sozialen Gerechtigkeit« machen wollte. Doch überzeugte er ausreichend viele.
    Das ist nur die halbe Wahrheit. Denn unter dem Druck der Nationalsozialisten mischte die KPD ihrem Programm zunehmend volkskollektivistisches und nationalistisches Gedankengut bei. Sie begann, die Arbeiter ihrerseits zu nationalisieren und damit auf das Dritte Reich einzustimmen. Drei Wochen vor der Reichstagswahl am 14. September 1930 verabschiedete sie ihre »Proklamation zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes« – des Volkes, nicht der Arbeiter. Darin warf sie der SPD in nazistischer Tonlage »Erfüllungspolitik« gegenüber Frankreich und deshalb »Hoch- und Landesverrat an den Lebensinteressen der arbeitenden Massen Deutschlands« vor. Wie die NSDAP erklärte die KPD: »Wir Kommunisten kämpfen sowohl gegen den Youngplan als auch gegen den Versailler Raubfrieden, den Ausgangspunkt der Versklavung aller Werktätigen Deutschlands.« Die KPD versprach, »dass wir im Falle unserer Machtergreifung alle sich aus dem Versailler Vertrag ergebenden Verpflichtungen für null und nichtig erklären werden«. Angesichts solcher Versprechen mochten sich viele Arbeiter gefragt haben: Warum nicht gleich das Original wählen?
    Auch für Antisemiten enthielt die KPD-Proklamation passende Passagen: »Die Großhändler, die Magnaten des Handelskapitals, treiben heute die kleinen Kaufleute in den Ruin, werfen Tausende von Angestellten aufs Pflaster, vernichten Hunderttausende Mittelstandsexistenzen, wuchern die Bauern aus und schrauben die Preise für Massenkonsumtionsartikel empor.« Zur Macht gelangt, werde man deshalb als Erstes die Banken und den Großhandel »nationalisieren« und alle Werktätigen »von räuberischen Profitmachern befreien«, »mit eiserner Faust jede Spekulation zerschmettern«. All das klang sehr nach Adolf Hitler, und wie dieser forderte die KPD im Frühjahr 1932 den Austritt aus dem Völkerbund, den Kampf gegen »den Ausplünderungsfeldzug des internationalen Finanzkapitals und die deutschen Tributvögte«, ebenso die Rückgabe aller Landesteile – wirklich aller! –, die Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg verloren hatte und wodurch es »territorial verstümmelt« worden sei. [343]
    Im Jahr 1932 veröffentlichte die KPD einen vom Zentralkomitee der Partei autorisierten Text gegen den nazistischen, als »kleinbürgerlich« charakterisierten Antisemitismus. Sie verlangte von den deutschen Juden die vollständige Assimilation und stellte zur Rolle jüdischer Industrieller, Banker und Großkaufleute fest: »Jüdisches und nichtjüdisches Kapital sind untrennbar miteinander versippt und verquickt, auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden. Jüdisches Geld nährt auch den Faschismus. Faschistische Streikbrecher stehen im Sold jüdischer Industrieller.« [344] Solidarität mit den wenig später verfolgten und bedrohten Juden förderte eine solche Erklärung gewiss nicht.
    Nachdem die KPD im August 1930 wichtige Ziele der NSDAP programmatisch adaptiert hatte, entschied sie sich auch zur punktuellen Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten. Insbesondere
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