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Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)

Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)

Titel: Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)
Autoren: Götz Aly
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Geschichte der Deutschen« und »Volksnot« im Mittelpunkt stehen. Das Thema »Juden« klingt vergleichsweise selten, in knappen Nebensätzen an, die in den vorstehenden Absätzen in kondensierter, insofern irreführender Weise wiedergegeben sind. So, wie es im Programm der NSDAP stand, bildete auch in Hitlers Reden der Jahre 1930 bis 1933 der Antisemitismus »gewissermaßen den gefühlsmäßigen Unterbau«. Der Parteiführer zupfte die Rassensaite beiläufig an – als immer einmal wiederkehrenden, dezenten Ton im Basso continuo seiner Reden. Das genügte. Mein Onkel August R., der seinerzeit in München studierte, berichtete über den Auftritt Hitlers im Zirkus Krone am 12. Juni 1931: »Hitler sprach derartig frei von jedem Gehässigem und vorsichtig, dass die Zuhörer die Rede mit den üblichen Nazi-Interjektionen – wie ›Juden‹, ›Verräter‹ ›Schufte‹ usw. – würzten.« [339] Redner und Publikum gestalteten den Antisemitismus zum interaktiven Spektakel.
    Hitler verpflichtete seine Parteigenossen zu Einsatz und materiellen Opfern. Das unterschied die NSDAP von der losen Mitgliedschaft in bürgerlichen Parteien und deren lokalen Honoratiorenvereinigungen wesentlich. Die Aufnahmegebühr betrug zwei, der monatliche Beitrag eine Mark, zudem hatte jedes Mitglied 30 Pfennige monatlich an die Versicherungskasse der SA zu entrichten. Der Mindestbeitrag für die SPD lag halb so hoch. [340] Jeder NSDAP-Parteigenosse war aufgefordert, je nach Möglichkeit mehr zu bezahlen. Für politische Veranstaltungen wurden stets Eintrittsgelder erhoben. Sie schwankten – manchmal wie im Theater, je nach der Qualität der Plätze gestaffelt – zwischen 50 Pfennig und zwei Mark, eine beachtliche Höhe in Anbetracht des durchschnittlichen Monatslohns eines Arbeiters von rund 180 Mark. Ein Student verfügte damals über etwa 80 Mark monatlich, ebenso ein Arbeitsloser mit Familie. Eine Kinokarte kostete seinerzeit 30 Pfennige.
    Im Wahlkampf 1930 organisierte der Berliner Gauleiter Goebbels drei Kundgebungen hintereinander im Sportpalast. Er zog sie als politische Schaukämpfe auf – als Events. Der Eintritt betrug eine Mark. Da die 12 000 Plätze für jeden Abend sofort ausverkauft waren, erhoben die Veranstalter für den dritten Abend einen Zusatzbeitrag von einer Mark zugunsten der SA. Politische Veranstaltungen der NSDAP füllten die Kasse für den Ausbau der Organisation und für weitere Propaganda. Im Hinblick auf das bevorstehende Wahljahr verlangte Hitler Ende 1929 von allen Mitgliedern, der Partei einen Kredit von mindestens zehn Mark für die Dauer eines Jahres zu geben. Die Verzinsung lag ein halbes Prozent unter dem jeweiligen Reichsbankdiskontsatz.
    Es stimmt: Hitler bezog Spenden auch von der deutschen Industrie, ebenso wie andere Parteien. Für das finanzielle Fundament der Partei blieben jedoch Beiträge und Eintrittsgelder, Zeitungs-, Bücher-, Uniform- und Abzeichenverkauf an die Mitglieder und Sympathisanten entscheidend. So wurde die NSDAP zur ungewöhnlich gut bemittelten politischen Organisation. Zugleich förderte die materielle Opferbereitschaft jedes Einzelnen den Zusammenhalt, die Linientreue, die Kampfbereitschaft und die Hingabe an die Sache – in der Logik, die politische Kadergruppen und religiöse Sekten generell auszeichnet.
    Erhebliche Mittel flossen stets an die Sturmabteilungen (SA). Diese verfügten 1930 über etwa 70 000 Mitglieder, organisierten Wahlversammlungen, klatschten bei diesen Veranstaltungen auf einen kleinen Wink hin, verteilten Flugblätter, bildeten Klebekolonnen, provozierten Saalschlachten. Für seinen »Dienst« bekam jeder SA-Mann eine bis zwei Mark pro Tag plus Verköstigung – nicht wenig, wenn man bedenkt, dass das wöchentliche Arbeitslosengeld knapp 20 Mark betrug, und junge Leute, die noch nie in fester Arbeit gestanden hatten, überhaupt nichts bekamen. [341] Die Zusammensetzung der SA schilderte Friedrich Franz von Unruh bald nach der Septemberwahl 1930 anlässlich einer Kundgebung mit Hitler, bei der einige Hundert SA-Männer in gestaffelter Formation auf der Bühne hinter ihrem Führer Platz genommen hatten: »Viel schwächliche Leute, schmächtige Kriegsjugend, Stubengesichter; daneben Studenten, straff, sportlich; eine Handvoll gedienter Soldaten; viele Erwerbslose, Fanatiker und handfeste Kerle.« Im Publikum sah der Berichterstatter »neben Jünglingen Männer, Frontsoldaten, die schon einmal das Ganze wagten«, daneben »Alte, deren Herz mit der Jugend
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