Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)
d’être die Unterwerfung unter ausländischen Machtanspruch ist«.
Nach Röpkes Analyse hatten die Reparationslasten die Weltwirtschaftskrise nicht ausgelöst, wohl aber drückten sie die Deutschen an die Grenze ihrer psychischen Reserven und blockierten die Möglichkeiten zum Wiederaufstieg aus der Krise für die ganze Welt: »Sie sind es, die Mitteleuropa zu einem Sturmzentrum der Krise gemacht haben, sie sind es, die die Nervosität der Menschen von Tag zu Tag gesteigert haben, die den wirtschaftlichen und politischen Frieden der Welt zerstörten und durch die von Land zu Land sich ausbreitende Vertrauenskrise unser heutiges Wirtschaftssystem von Tag zu Tag funktionsunfähiger machen. Sie sind es, die schließlich die Lawine der deutschen Auslandskredite ins Rollen gebracht haben, die dann auch England mit fortgerissen hat und ihre Erschütterung der ganzen übrigen Welt mitteilt. Die Reparationen haben sich als eine Sandbank erwiesen, die bei Flut so tief unter der Meeresfläche liegt, dass sie den Schiffsverkehr zwar behindert, aber nicht völlig unmöglich macht, die aber bei Ebbe zum Verderben wird.«
Wenn man den Zusammenhang zwischen der Deutschland besonders schwer erschütternden Wirtschaftskrise, dem unerwarteten Wahlerfolg Hitlers im September 1930 und dem weiteren Kapitalabfluss aufgrund mangelhafter politischer Stabilität überdenkt, dann leitete Hitlers Wahlsieg 1930 eine Phase ein, in der sich Wirtschaftsdepression und politische Verwilderung wechselseitig beschleunigten. Die Krise machte Hitlers Programm der wirtschaftlichen Regression plausibel: weg vom Weltmarkt, hin zur nationalen Autarkie; die Lage der Bauern erforderte den radikalen Schuldenschnitt; dieser musste zu Lasten der Gläubiger gehen; wenn er vorzugsweise jüdische und ausländische Gläubiger traf – umso besser. Selbst die Siegermächte redeten – aus Sicht der Deutschen palaverten sie – 1931 darüber, dass die Reparationszahlungen ausgesetzt werden müssten. Zum Verzicht konnten sie sich jedoch nicht entschließen. Den Verzicht aber hielt Röpke – aus wirtschaftlichen und politischen Gründen – für den einzigen noch gangbaren Ausweg aus einer hochgefährlichen Situation.
Jedes Schuldenmoratorium verschärfte jedoch die Krise, zerstörte das restliche Vertrauen, weil damit die unbezahlbaren Lasten doch nur aufgeschoben und um weitere Zinsen vermehrt wurden. Warum sollten die Deutschen dann nicht selbst zur Tat schreiten, wie es die NSDAP propagierte, und einfach nichts mehr überweisen? Warum sollten sie nicht möglichst wenig exportieren, wenn die Außenhandelserträge ohnehin für die Reparationen abgeschöpft wurden und den Produzenten außer Arbeit keine Vorteile brachten? Warum sollte unter jungen Leuten nicht die Stimmung Lieber-tot-als-Sklave populär werden? Die Krise war in ihren Augen vom feindlichen Ausland gemacht. Warum sollten sie da nicht den nationalen Egoismus hochhalten und alles Fremde im Inland niederdrücken?
Angesichts solcher Gefahren forderte Röpke, die Welt möge sich auf ihre solidarischen Interessen besinnen. Schließlich gehe es nicht länger um einzelne Länder, nicht um die Schuldfrage, nicht um die Vergangenheit, sondern allein um die Zukunft. Voraussetzung dafür sei, dass eine verantwortungsvolle und weitblickende Staatskunst Europa »endlich den wirtschaftlichen und politischen Frieden schenkt«. 26 Monate vor Hitlers Machtübernahme schloss Röpke seine Brandrede mit den Worten: »Täuschen wir uns nicht darüber: Unser Wirtschaftssystem läuft nur noch mit letzter Kraft und mit ihm unsere ganze abendländische Zivilisation. Und drüben stehen bereits die Barbaren, die unser Erbe frohlockend antreten werden, wenn wir jetzt am Scheideweg den falschen Weg einschlagen.« [337]
Wilhelm Röpke, geboren 1899, verdiente sich am Ende des Ersten Weltkriegs das Eiserne Kreuz, studierte dann bei Walter Euken, wurde an der Universität Marburg Professor und 1933 als einer der ersten mit Lehrverbot belegt. Er war kein Sozialist, ganz im Gegenteil: Ordoliberaler, zudem Germane durch und durch. Die Marburger Professoren und Studenten verjagten ihn als überzeugten, publizistisch gewandten und streng marktwirtschaftlich orientierten Feind des nazistischen Staatssozialismus. Nach dreijähriger Station an der Universität Istanbul nahm er eine Professur in Genf an. Im Winter 1944/45 verfasste er das Buch »Die deutsche Frage«. Nach Kriegsende blieb er in Genf, allerdings beriet er Ludwig Erhard
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