Warum es die Welt nicht gibt
einteilen, dass sie selbst nicht eingeteilt ist, wäre dies so, als ob man sagen wollte, dass es in einer Bibliothek keine Bücher gibt, sondern nur einen einzigen Text. Es stellt sich nur die Frage, die wir durch Erfahrung und Wissenschaft beantworten können, aus welchen Bereichen die Welt besteht. Genau dies suchen wir beständig herauszufinden, wobei wir uns manchmal täuschen, häufig aber richtigliegen.
Nun sind wir bestens ausgerüstet, um die Frage zu beantworten, was die Welt ist. Die Welt ist weder die Gesamtheit der Dinge noch die Gesamtheit der Tatsachen, sondern sie ist derjenige Bereich, in dem alle Bereiche vorkommen, die es gibt. Alle Bereiche, die es gibt, gehören zur Welt. Die Welt ist, wie dies Martin Heidegger zutreffend formuliert hat, »der Bereich aller Bereiche« 14 .
Wie ich in den folgenden Kapiteln zeigen werde, hat die Philosophiegeschichte des Weltbegriffs nicht etwa mit Heidegger aufgehört. Denn auch Heidegger hat bestenfalls angedeutet, was aus seinem Weltbegriff folgt und wie man dies begründen kann. Da es uns um eine Erkenntnis der Welt und ihrer Nichtexistenz geht, kann es uns natürlich gleichgültig sein, was Heidegger eigentlich vorhatte. Dennoch verdanken wir ihm die Einsicht, dass die Welt der Bereich aller Bereiche ist (und lassen ihn damit mit einem freundlichen Zuwinken hinter uns).
In einer hoffentlich auch als Provokation (und nicht bloß als peinliche Bekundung von Unwissen) zu verstehenden Bemerkung hat der als Intellektueller weit überschätzte britische Physiker Stephen W. Hawking vor kurzem das Folgende bekanntgegeben:
Da die Menschen nun einmal in dieser riesigen, mal gütigen, mal grausamen Welt leben und in den unermesslichen Himmel über ihnen blicken, stellen sie sich von jeher eine Fülle von Fragen. Wie können wir die Welt verstehen, in der wir leben? Wie verhält sich das Universum? Was ist das Wesen der Wirklichkeit? Woher kommt das alles? Braucht das Universum einen Schöpfer? Die meisten von uns verbringen nicht übermäßig viel Zeit mit diesen Fragen, doch fast alle machen wir uns hin und wieder darüber Gedanken. Traditionell sind das Fragen für die Philosophie, doch die Philosophie ist tot. Sie hat mit den neueren Entwicklungen in der Naturwissenschaft, vor allem in der Physik, nicht Schritt gehalten. Jetzt sind es die Naturwissenschaftler, die mit ihren Entdeckungen die Suche nach Erkenntnis voranbringen. 15
Hawking identifiziert die Welt – das Ganze, die Gesamtheit oder Totalität, zu der wir gehören – mit dem Universum. Die Philosophie unterscheidet schon lange (spätestens seit Platon und Aristoteles) zwischen dem Universum im Sinne des Gegenstandsbereichs der Physik und dem, was wir Modernen »die Welt« nennen. Und wir wissen schon, dass das Universum eine ontologische Provinz ist, was Hawking nicht aufgefallen ist, da um ihn (als Physiker) herum alles zur Physik wird.
Natürlich kann man der Philosophie vorwerfen, dass sie den Weltbegriff noch nicht hinreichend weit entwickelt hat. Der Grund dafür liegt darin, dass sich Philosophen lange Zeit gleichsam von der modernen Naturwissenschaft haben einschüchtern lassen. Unter den zeitgenössischen Philosophen gilt dies besonders für Jürgen Habermas. Habermas übernimmt mit einigen Modifikationen Kants Weltbegriff. In aller Kürze sagen Kant und mit ihm Habermas, dass die Welt eine »regulative Idee« ist. Dies bedeutet, dass wir ein Weltganzes voraussetzen und alles, was wir erfahren und erkennen, als Ausschnitte des Weltganzen verstehen müssen. Auf diese Weise garantieren wir, dass wir überhaupt ein kohärentes und widerspruchsfreies Weltbild haben können, da die Welt selbst eine Einheit ist, deren Ausschnitte wir repräsentieren können. Dabei kommt die Welt selbst nicht in der Welt als ein Ausschnitt vor, sondern sie ist nur eine Idee, die wir voraussetzen, um uns die Ausschnitte verständlich machen zu können. Habermas nennt dies ausdrücklich eine »formale Weltunterstellung« 16 , und er bindet sie an unsere letztlich immer kommunikativ umgesetzte Praxis der Welterkenntnis:
Ein gemeinsamer Blick auf die Wirklichkeit als ein zwischen den ›Weltansichten‹ verschiedener Sprachen ›in der Mitte liegendes Gebiet‹ ist eine notwendige Voraussetzung für sinnvolle Gespräche überhaupt. Für Gesprächspartner verbindet sich der Begriff der Wirklichkeit mit der regulativen Idee einer ›Summe alles Erkennbaren‹. 17
An anderer Stelle spricht Habermas von der »Totalität
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