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Warum es die Welt nicht gibt

Warum es die Welt nicht gibt

Titel: Warum es die Welt nicht gibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Gabriel
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der Gegenstände« 18 , wobei wir schon wissen, dass dies ein falscher Weltbegriff ist. Habermas gibt sich leider damit zufrieden, einen kleinen Bezirk der Sprach- oder Diskursanalyse für die Philosophie zu reservieren und den Rest der Wirklichkeitserkenntnis den Natur- und Sozialwissenschaften zu überlassen, was er als »schwachen Naturalismus« 19 bezeichnet. Dabei versäumt er es aber, seinen eigenen Weltbegriff zu begründen, da ihm in erster Linie daran gelegen ist, einen nicht gänzlich naturalisierbaren Bereich des Sozialen als Analysegebiet der Philosophie zu verteidigen. Doch wir haben schon gesehen, dass die These, die Welt sei die »Totalität der Gegenstände« oder die »Gesamtheit der Dinge«, falsch ist. Wäre die Welt die Totalität der Gegenstände und nichts weiter, gäbe es keine Tatsachen.
    Auch die andere Definition, die Habermas verwendet, nämlich »Summe alles Erkennbaren«, führt nicht viel weiter. Denn nicht alle Tatsachen sind erkennbar, jedenfalls nicht für Menschen. Zum Beispiel die inneren Zustände eines Schwarzen Lochs. Die Bedingungen in seiner näheren Umgebung sind inkompatibel damit, dass wir erkennen, was in ihm genau stattfindet (falls hier überhaupt noch etwas stattfindet). Daraus folgt nicht, dass es keine Tatsachen innerhalb des Schwarzen Lochs gibt, sondern nur, dass sie in keinem uns verständlichen Sinne erkennbar sind.
    Ein weiteres Beispiel sind Entzugsgegenstände – Gegenstände, die verschwinden, wenn man sie beobachtet. 20 So könnte es beispielsweise sein, dass sich auf der Rückseite des Mondes rosa Elefanten aus einer uns nicht bekannten Materie verstecken. Immer, wenn es uns gelingt, die Rückseite des Mondes zu beobachten, entziehen sich die Elefanten, indem sie sich mit Lichtgeschwindigkeit an einen anderen Ort begeben oder sich als Mondkrater tarnen. Manche Interpretationen von Heisenbergs berühmter Unschärferelation verstehen einige Eigenschaften von Teilchen als Entzugsgegenstände. Denn durch unsere Messung verändern wir Eigenschaften von Teilchen so, dass wir andere Eigenschaften nicht gleichzeitig beliebig genau messen können. Dies liegt letztlich einfach daran, dass jede Beobachtung (auch die mit unseren Sinnesorganen) und jeder Messvorgang selbst ein physischer Eingriff in die physische Umgebung ist.
    Aus diesen nur angerissenen und noch zu vertiefenden Gründen folgt, dass Habermas’ Weltbegriff nachweisbar falsch ist. Während Hawking die Philosophie unterschätzt, weil er keine angemessene Vorstellung davon hat, worum es in ihr geht, ist Habermas zu bescheiden und zu vorsichtig, weil er keine voreiligen Einwände gegen wissenschaftliche Forschungsergebnisse erheben möchte. Damit überschätzt und überfordert Habermas die Naturwissenschaften. Auch wenn es grundsätzlich empfehlenswert ist, auf Wissenschaft, Vernunft und Aufklärung zu setzen, sollte man die philosophische Wissenschaft jedoch nicht grundlos herabsetzen. Sie macht nämlich ebenso Fort- und Rückschritte wie die anderen Wissenschaften. Ein großer Fortschritt der Philosophie ist ihre Verbesserung des Weltbegriffs, die Habermas nicht hinreichend in Rechnung stellt und von der Hawking niemals gehört hat. 21
    Fassen wir die fünf wichtigsten Ergebnisse dieses ersten Kapitels zusammen:
    1. Das Universum ist der Gegenstandsbereich der Physik.
    2. Es gibt viele Gegenstandsbereiche.
    3. Das Universum ist einer unter vielen Gegenstandsbereichen (wenn auch ein beeindruckend großer) und damit eine ontologische Provinz.
    4. Viele Gegenstandsbereiche sind auch Redebereiche. Einige Gegenstandsbereiche sind sogar nur Redebereiche.
    5. Die Welt ist weder die Gesamtheit der Gegenstände oder Dinge noch die Gesamtheit der Tatsachen. Sie ist der Bereich aller Bereiche.
    6 Vgl. Platon, Apologie des Sokrates , in: Sämtliche Werke , hrsg. von Ursula Wolf, Hamburg 2004, Bd. 1, S. 17 f.
    7 Vgl. Viktor Pelewin, Buddhas kleiner Finger , Berlin 1999, S. 179 f.
    8 Vgl. Brian Greene, Das elegante Universum. Superstrings, verborgene Dimensionen und die Suche nach der Weltformel , Berlin 2002.
    9 Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung , in: Ders., Werke in fünf Bänden , hrsg. von Ludger Lütgehaus, Zürich 1988, Bd. 2, S. 11.
    10 Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse , in: Ders., Kritische Studienausgabe in 15 Bänden , hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 2009, Bd. 5, S. 99.
    11 Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus , Frankfurt/Main 2006,

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