Warum es die Welt nicht gibt
existiert, das offensichtlich existiert, müssen wir uns überlegen, was schiefgelaufen ist. Manche Ontologen haben etwa behauptet, dass es überhaupt nichts gibt, das sich bewegt, oder dass der Fluss der Zeit nur eine Illusion ist. Andere meinen, dass die Vergangenheit oder die Zukunft nicht existieren, sondern nur die Gegenwart (und auch die nicht so richtig). Wieder andere meinen, es gebe unzählige mögliche Welten neben der unsrigen, mit denen wir nur nicht in physischen Kontakt treten könnten. Alle diese seltsamen Annahmen resultieren aus einer falschen Ontologie. Wenn man ernsthaft auf den Gedanken kommt, dass keine Zeit verfließt, während man seine Ontologie formuliert, ist offensichtlich etwas schiefgelaufen. Außerdem versichere ich, dass sich während der Abfassung dieser Zeilen ziemlich viel bewegt hat: meine Finger, der Cursor, meine Maus, meine Augen, Teile meines Gehirns, meine Muskeln, mein Herz oder der Zug, in dem ich sitze. In den ersten Schritten der Ontologie sollten wir also sehr behutsam vorgehen und keine allzu großen Sprünge wagen.
Beginnen wir deswegen mit einer ganz einfachen Beobachtung! Alle Gegenstände, mit denen wir zu tun haben, haben bestimmte Eigenschaften. Mein Hund hat (zum Glück) vier Beine, ein weißbraungraues Fell, heißt »Havannah« (lange Geschichte), ist kleiner als ich, mag gerne Joghurt und hat einen bestimmten genetischen Code. Im Unterschied dazu lebt der Löwe Leo (wenn es ihn denn gibt) in Südafrika, hat eine mächtige Mähne, wäre imstande, meinen Hund in einem Happen zu verschlingen, hat einen anderen genetischen Code, jagt erfolgreich Gazellen und wird niemals gebadet (Sie können es ja mal versuchen!). Neben Havannah und Leo gibt es viele andere Gegenstände mit ganz anderen Eigenschaften: Schwarze Löcher, David-Lynch-Filme, traurige Gedanken beim Winteranfang sowie den Satz des Pythagoras. Alle diese Gegenstände haben bestimmte Eigenschaften, die sie von anderen Gegenständen in ihrer physischen, emotionalen oder logischen Umgebung unterscheiden.
Oder andersherum: Was die Gegenstände und die Gegenstandsbereiche voneinander unterscheidet, sind die Eigenschaften, die ihnen jeweils zukommen. Der Gegenstandsbereich der natürlichen Zahlen unterscheidet sich von Leo dadurch, dass er kein Lebewesen ist, dass er mehr Zahlen enthält, als Leo Zähne hat, oder dass er in verschiedenen mathematischen Systemen mit wahren Sätzen beschrieben werden kann. Auch meine traurigen Gedanken beim Winteranfang unterscheiden sich durch ihre Eigenschaften deutlich von den natürlichen Zahlen, wobei ich nicht ausschließen möchte, dass das eine oder andere Grundschulkind wegen der natürlichen Zahlen traurige Gedanken am Winteranfang hat.
Eigenschaften unterscheiden Gegenstände in der Welt von einigen anderen Gegenständen in der Welt. Dies gibt sofort zu mindestens zwei philosophischen Fragen Anlass, die das Herzstück meiner Überlegungen bilden:
1. Kann es einen Gegenstand geben, der alle Eigenschaften hat, die es gibt?
2. Unterscheiden sich alle Gegenstände von allen anderen Gegenständen?
Beide Fragen beantworte ich mit »Nein«. Daraus werde ich dann darauf schließen, dass es die Welt nicht gibt. Denn die Welt wäre erstens ein Gegenstand, der alle Eigenschaften hat, und zweitens unterschieden sich in ihr alle Gegenstände von allen anderen. Gehen wir schrittweise und systematisch vor und fangen wir mit Frage Nummer 1 an.
Der Supergegenstand
G egenstände sind dasjenige, worüber wir mit wahrheitsfähigen Gedanken nachdenken können. Damit meine ich das Folgende: Ein wahrheitsfähiger Gedanke ist ein Gedanke, der wahr oder falsch sein kann. Dies gilt nicht für alle Gedanken. Nehmen wir den Gedanken
Na und?
Der Gedanke »Na und?« ist nicht wahrheitsfähig, denn er ist weder wahr noch falsch. Anders steht es mit dem Gedanken
Es gibt Massenvernichtungswaffen in Luxemburg.
Dieser Gedanke ist zu einem bestimmten Zeitpunkt offenbar entweder wahr oder falsch. Ich persönlich halte ihn spontan für falsch, gebe aber zu, dass ich mich irren kann. Es gibt indessen viele Gedanken, die nicht wahrheitsfähig sind, zum Beispiel
Grummel, grummel
oder
Schweden schweden jeden berg
Viele Gedanken, die durch unser Bewusstsein ziehen, sind ziemlich unfertige Gebilde. Manchmal fangen wir einen Gedanken nur an und wenden uns einem anderen zu, bevor der erste überhaupt wahrheitsfähig geworden ist. Wir denken ja nicht ständig in vollständigen, wohlformulierten oder
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