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Warum es die Welt nicht gibt

Warum es die Welt nicht gibt

Titel: Warum es die Welt nicht gibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Gabriel
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sogar theoriefähigen Sätzen. Doch es ist wichtig, den folgenden Unterschied im Auge zu behalten. Der Gedanke
    Es regnet gerade in London.
    ist wahrheitsfähig. Ich kann ihn außerdem leicht überprüfen, indem ich das Wetter in London google oder sicherheitshalber jemanden in London anrufe und nachfrage, ob es gerade in London regnet. Der Gedanke
    Die Anzahl der Galaxien im Universum war vor genau drei Millionen Jahren ungerade.
    ist auch wahrheitsfähig, aber nur sehr schwer oder vielleicht sogar überhaupt nicht überprüfbar. Der Umfang der von Menschen überprüfbaren Gedanken ist kleiner als der Umfang der Gegenstände selbst. Die von uns überprüfbaren Gedanken sind sozusagen ein kleiner heller Bereich im Ganzen, den Martin Heidegger mit einer berühmten Metapher als »die Lichtung« beschrieben hat. Wir stehen in einer Lichtung mitten in einem für uns unübersehbaren Wald oder vielmehr inmitten eines ziemlich großen Dschungels.
    Was im Lichtkegel der menschlichen Erkenntnis erscheint, ist jedenfalls aufs Ganze gesehen verschwindend wenig, wenn es auch für Menschen von allergrößter Wichtigkeit ist. Ignorieren wir also all das, was außerhalb der Lichtung irgendwo im Dschungel vorkommt, und beschränken wir uns auf das Erkennbare: Wenn wir etwas über einen Gegenstand erkennen, erkennen wir einige seiner Eigenschaften. Durch diese Eigenschaften sticht der Gegenstand unter anderen Gegenständen hervor. Übrigens steckt dies in der Wortgeschichte von »Existenz«. Denn Existenz kommt aus dem Lateinischen (mit einer altgriechischen Vorgeschichte). Das Verb »existere« heißt »entstehen, heraustreten«. Wörtlich übersetzt bedeutet das Wort »Heraus-Stehen«, »Hervorstechen« oder »Hervortreten«. Was existiert, sticht hervor, es hebt sich von anderen Gegenständen durch seine Eigenschaften ab.
    Wenn wir alle Eigenschaften eines Gegenstandes kennen, kennen wir den ganzen Gegenstand. Der Gegenstand ist nicht noch einmal etwas Besonderes neben seinen Eigenschaften, zumal auch dies nur eine weitere Eigenschaft des Gegenstandes wäre. Ich bin alle meine Eigenschaften. Wenn ich daneben auch noch der Träger meiner Eigenschaften wäre, wäre auch dies nur eine meiner Eigenschaften.
    Ein Gegenstand, der alle möglichen Eigenschaften hätte – nennen wir ihn den S upergegenstand –, kann jedoch nicht existieren oder aus der Menge der anderen Gegenstände hervorstechen. Der Grund dafür ist leicht einzusehen: Der Supergegenstand hätte alle anderen Gegenstände in sich, er umfasste alle anderen Gegenstände. Deswegen kann er nicht aus ihnen herausragen oder unter ihnen hervorstechen. Denn die Gegenstände sind jeweils durch endliche, begrenzte Mengen von Eigenschaften beschreibbar. Unser Hund hat vier Beine, ein weißbraungraues Fell und eine bestimmte Körpergröße. Aber er ist nicht Batman. Etwas, das sich durch nichts von allem anderen unterscheidet und nur mit sich selbst identisch ist, kann jedoch nicht existieren. Es tritt nicht mehr hervor.
Monismus, Dualismus, Pluralismus
    Die Idee, dass es einen Supergegenstand gibt, ist übrigens seit Jahrtausenden ziemlich verbreitet. Auch in der Gegenwartsphilosophie hat sie viele Anhänger, etwa den amerikanischen Philosophen Terence E. Horgan, der den Supergegenstand in Anlehnung an den Science-Fiction-Klassiker Der Blob und sein Remake von 1988 als »Blobjekt« bezeichnet. 22 Die These des B lobjektivismus besagt, es gebe nur einen einzigen alles umfassenden Gegenstandsbereich, und sie nimmt an, dass dieser Gegenstandsbereich selbst ein Gegenstand ist. Denn in diesem Modell wären alle Eigenschaften in einen einzigen Bereich zusammengefasst. Wenn man diesen Bereich nun als den Träger aller dieser Eigenschaften versteht, hat man den Supergegenstand eingeführt.
    In der Philosophie nennt man Träger von Eigenschaften S ubstanzen . Dabei darf man sich keine konkreten materiellen Substanzen im alltagssprachlichen Sinn von »Stoffe« vorstellen. Seit der Neuzeit mit ihren großen Metaphysikern René Descartes, Georg Wilhelm Leibniz und Baruch de Spinoza wird darüber gestritten, wie viele Substanzen es eigentlich gibt. Dabei sind vor allem drei Thesen im Rennen, die weiterhin heftig diskutiert werden und scharfsinnige Anhänger haben. Diese drei Thesen sind:
    1. M onismus (Spinoza): Es gibt nur eine einzige Substanz, den Supergegenstand.
    2. D ualismus (Descartes): Es gibt zwei Substanzen – die denkende Substanz ( substantia cogitans ) und die ausgedehnte,

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