Warum es die Welt nicht gibt
worden, wäre jede weitere Diskussion sinnlos. Wir würden wohl zu dem Schluss kommen, dass diese angebliche Erklärung völlig willkürlich ist. Wir könnten ihm glauben oder auch nicht, nur überprüfen können wir diese Hypothese nicht.
Naturalisten meinen nun, dass jede traditionelle Erklärung der Welt insgesamt oder einiger Phänomene, die in ihr vorkommen, die nichtnatürliche Gegenstände wie Gott, eine immaterielle Seele, Geister oder das Schicksal in Anspruch nimmt, ein Fall willkürlicher Hypothesenbildung ist. Für den Naturalisten ist die Annahme, dass es Gott gibt, eine völlig willkürliche Hypothese neben unendlich vielen anderen. Wer behauptet, dass sein Gott die Zehn Gebote vorgeschrieben hat oder dass Krishna eine Personifikation des Göttlichen war, behauptet dem Naturalismus zufolge formal gesehen dasselbe wie jemand, der das Fliegende Spaghettimonster anbetet. 41 Der Naturalismus verwirft die Religion als konkurrierende Welterklärung, weil er sie für eine unwissenschaftliche Hypothese hält.
So weit, so gut. In der Tat wollen wir nicht den willkürlichen Hypothesenerfindungen das Wort reden. Deswegen empfehlen sich der Naturalismus und das wissenschaftliche Weltbild auf den ersten Blick als Heilmittel gegen ein gefährliches Gift: die menschliche Willkür. Wenn der Wunsch der Vater des Gedankens ist, liegen wir häufig, wenn auch nicht immer, falsch. Descartes, einer der Gründerväter des wissenschaftlichen Weltbildes, hat genau auf diese Weise erklärt, warum wir überhaupt fallibel und irrtumsanfällig sind. Es bestehe nämlich, so meinte er, ein Überschuss des Willens über den Verstand: Der Wunsch ist der Vater des Gedankens. Als Wissenschaftler wollen wir aber die Wahrheit wissen und uns von Illusionen befreien. Es geht nicht darum, wie wir uns die Wirklichkeit vorstellen, sondern darum, wie sie ist. In der Philosophie der Frühen Neuzeit kommt deswegen auch ein prinzipieller Verdacht gegen die menschliche Willkür und Einbildungskraft auf. Von nun an gilt es, streng zwischen wirklicher Welt und Fiktion zu unterscheiden: Die wirkliche Welt, das Universum, ist dasjenige, was schlechterdings nichts mit unserer Einbildungskraft zu tun hat.
Allerdings schüttet der Naturalismus das Kind mit dem Bade aus. Denn es scheinen mindestens zwei Kriterien zu sein, die er anlegt, um das Natürliche vom Übernatürlichen zu unterscheiden.
1. Das Übernatürliche ist Gegenstand einer willkürlichen Hypothesenbildung, also reine Erfindung.
2. Das Übernatürliche verstößt gegen die Naturgesetze.
Damit hat man aber keine Handhabe gegen die Religion, die meistens für den Gegner des wissenschaftlichen Weltbildes gehalten wird. Dies ist besonders sichtbar in der Bewegung des Neoatheismus, der von Autoren wie Richard Dawkins oder Daniel Dennett vertreten wird. 42 Der Neoatheismus assoziiert die Religion mit einem religiösen Weltbild, das in Konkurrenz zur Wissenschaft steht. In der Tat gibt es insbesondere in den USA fundamentalistische religiöse Zirkel, die der Meinung sind, dass die Evolutionstheorie oder die moderne physikalische Kosmologie falsch seien, da Gott das Universum und die Tiere zu einem bestimmten Zeitpunkt wenige Jahrtausende vor Christi Geburt geschaffen habe. Dawkins ist zuzustimmen, dass der K reationismus – die These, Gottes Eingreifen in die Natur erkläre die Natur besser als die Naturwissenschaften – einfach eine Pseudoerklärung ist. Er ist einfach keine ernstzunehmende wissenschaftliche Hypothese, sondern eine willkürliche Erfindung der menschlichen Einbildungskraft – und dazu noch nicht einmal eine besonders alte: Er ist erst im 19. Jahrhundert vor allem im angloamerikanischen Protestantismus aufgekommen und spielt hierzulande eigentlich gar keine Rolle. In der wissenschaftlichen Theologie im deutschsprachigen Raum hat er so gut wie keine Anhänger, was auch mit der engen Beziehung von Theologie und Philosophie zusammenhängt. Das Phänomen der Religion sollte man deswegen auch nicht vorschnell mit dem Kreationismus gleichsetzen, den die Neoatheisten zu Recht attackieren.
Am Anfang des Buches Genesis , gleich zu Beginn der Bibel, steht: »Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.« 43 Sowohl Naturalisten wie Kreationisten (aber keinesfalls die aufgeklärte Theologie, die in Europa vorherrscht und streng wissenschaftlich auf die Vielfalt der möglichen Interpretationen hinweist) interpretieren diesen Satz gewissermaßen als eine wissenschaftliche Hypothese. Sie läuft
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