Warum es die Welt nicht gibt
Nervenreize zu ordnen. Daraus ergibt sich dann allerdings genau die Willkür der Hypothese. Quine verarbeitet seine Nervenreize willkürlich zu seinem Weltbild. Doch damit begeht er genau den Fehler, den man in einem wissenschaftlichen Zeitalter tunlichst vermeiden sollte: Er wählt zwischen Weltbildern dasjenige aus, das ihm am besten gefällt und das sich mathematisch für ihn am einfachsten beschreiben lässt. Mit demselben Recht könnte man dann aber zu Homers Göttern zurückkehren und diese mathematisch beschreiben (was sogar noch einfacher wäre, da man je nach Zählung sogar nur mit zwölf Hauptgöttern rechnen müsste).
Das Buch der Welt
Quine hat damit eigentlich den Kontakt mit der Realität aufgegeben, wie Putnam – der jahrzehntelang ein Kollege Quines in Harvard war – neuerdings korrekt unterstreicht. 46 Hierbei macht Putnam den wissenschaftlichen Realismus gegen Quine geltend, nach dem die Wissenschaften herausfinden, was es in ihrem Gegenstandsbereich gibt, und dies nicht einfach selbst festlegen. Wenn es wahr ist, dass es Elektronen gibt, dann sind Elektronen keine »kulturellen Setzungen«, sondern eben Elektronen. Selbst nicht direkt beobachtbare, aber experimentell nachweisbare physikalische Gegenstände muss es wirklich im Gegenstandsbereich der Physik geben. Sie sind keine nützlichen Hypothesen, sondern Gegenstände, die in wissenschaftlich erforschbare Tatsachen eingebunden sind.
Ähnliches gilt übrigens mutatis mutandis für jede wahre Aussage, aus welcher Wissenschaft sie auch immer stammen mag. Wenn es wahr ist, dass Goethe der Autor von Faust ist, ist dies keine nützliche Fiktion der Germanistik. Wir erfinden ja keinen Autor namens »Goethe«, um es uns mit der Interpretation leichter zu machen. Goethe gab es nun einmal und er ist auch der Autor von Faust . Daraus folgt zunächst einmal nicht sehr viel. Es handelt sich bei Goethe auch nicht um ein Modell der Wirklichkeit oder gar um einen Baustein in einem Weltbild. Goethe ist schlicht eine Person, die während einer bestimmten Periode auf dem europäischen Kontinent gelebt hat und der Verfasser von Faust ist.
An dieser Stelle ist es vermutlich hilfreich, noch einmal zum Problem des Konstruktivismus Stellung zu beziehen, das eng mit der Rede von »Weltbildern« zusammenhängt. Obwohl es ihn in den verschiedensten Varianten gibt, scheint ihm die folgende Überlegung in der einen oder anderen Version immer zugrunde zu liegen: Stellen wir uns einen grünen Apfel vor. Wir Menschen sehen einen grünen Apfel. In unserem Weltbild gibt es grüne Äpfel. Nun führen wir eine Wespe ein, die um den Apfel herumschwirrt. Sieht die Wespe auch einen grünen Apfel? Vielleicht sieht die Wespe ganz andere Farben als wir, schließlich hat sie andere Augen. Vielleicht sieht sie gar keinen Apfel. Woher wissen wir denn, dass sie ihre Sinneseindrücke so ordnet, dass ihr ein Apfel erscheint, ganz zu schweigen von einem grünen Apfel? Führen wir auch noch einen Delphin ein, der ein Sonarbild des Gegenstandes empfängt, den wir als grünen Apfel sehen. Sehen (oder »sonaren«) wir nicht alle – die Menschen, die Wespe und der Delphin – nur unsere eigene Welt, unseren eigenen Gegenstand, ohne dass wir jemals feststellen können, wie die Dinge an sich beschaffen sind? Und wenn dies für unsere Sinneseindrücke gilt, gilt dies dann nicht auch für unsere Naturwissenschaften, da wir uns auch bei diesen, selbst wenn wir bestimmte Instrumente benutzen, in der Regel auf unsere Sinneseindrücke verlassen? Um ein Instrument zu bedienen, bedürfen wir immer auch unserer Sinneseindrücke. Diese lassen sich nicht durch Instrumente ersetzen. Deswegen, so schließt der Konstruktivismus, sehe jeder nur seine Welt, aber niemals die Dinge an sich.
Der R ealismus hingegen behauptet, dass wir die Dinge an sich erkennen, wenn wir überhaupt etwas erkennen. Und der wissenschaftliche R ealismus ist entsprechend die These, dass wir mit unseren wissenschaftlichen Theorien und Apparaturen die Dinge an sich und nicht etwa nur Konstrukte erkennen.
Der Neue Realismus beabsichtigt, ein Programm einzulösen, das schon einmal unter demselben Namen auftrat, damals aber noch nicht begründungsfähig war. 47 Denn vor allem durch Hilary Putnam sind die wesentlichen Fortschritte in der Ausarbeitung des Realismus erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts erzielt worden. In der Philosophiegeschichte sind ganz verschiedene Vorschläge unterbreitet worden, wie man den Ausdruck
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