Warum es die Welt nicht gibt
Welt kann man nicht einmal erfinden. Der andere Grund, der in diesem Kapitel eine größere Rolle spielen wird, hängt damit zusammen: Wir können uns kein Bild von der Welt machen, weil wir nicht von außen auf die Welt blicken können. Wie ich im Anschluss an eine einleuchtende Wendung Thomas Nagels bereits gesagt habe, können wir den »Blick von Nirgendwo« nicht erreichen. Wir schauen immer nur auf die Wirklichkeit von irgendeinem Punkt aus. Wir sind immer irgendwo und betrachten die Wirklichkeit niemals von nirgendwo .
Der erste Grund des Scheiterns des wissenschaftlichen Weltbildes ist ontologisch . Er zeigt, dass das wissenschaftliche Weltbild auf nachweisbar falschen Voraussetzungen beruht, so dass auch dasjenige, was aus diesen Voraussetzungen folgt, falsch oder zumindest wissenschaftlich unbegründet sein muss. Der zweite Grund ist erkenntnistheoretisch . Er hängt damit zusammen, dass wir keinen Blick von nirgendwo einnehmen können. Daraus folgt wohlgemerkt nicht, dass wir nichts erkennen oder dass wir lediglich Weltmodelle entwerfen können, ohne jemals zu den Tatsachen selbst vorzustoßen. Es wäre irrig anzunehmen, dass unsere Überzeugungen oder wissenschaftlichen Modelle wie Zerrbrillen auf unserem geistigen Auge sitzen, so dass wir immer nur die Menschenwelt, die Welt, wie sie unseren Interessen gemäß interpretiert ist, niemals aber die Welt an sich erkennen. Denn auch die Menschenwelt gehört zur Welt an sich oder in der Sprache der Sinnfeldontologie: Einige Sinnfelder sind nur für Menschen zugänglich, und sie sind genauso »real« wie Sinnfelder, mit deren Tatsachen Menschen niemals in Berührung kommen werden.
Das sogenannte wissenschaftliche Weltbild scheitert aus wissenschaftlich nachweisbaren Gründen. Wenn wir es methodisch und vorurteilsfrei untersuchen, zerbröselt es zwischen unseren Fingern. Bevor wir aber die begriffliche Lupe anlegen und uns das Räderwerk der Gründe und Gegengründe näher ansehen, ist es wichtig zu verstehen, was mit dem Ausdruck »wissenschaftliches Weltbild« eigentlich gemeint ist und bezweckt wird. Nur wenn wir darüber Klarheit erlangen, verstehen wir, worum es in der Debatte zwischen Wissenschaft und Religion, zwischen dem einen wissenschaftlichem und den vielen religiösen Weltbildern eigentlich gehen soll, die uns im folgenden Kapitel eingehender beschäftigen wird.
Naturalismus
Anhänger eines wissenschaftlichen Weltbildes argumentieren häufig folgendermaßen: Es gibt nur eine einzige Natur. Die Natur ist der Gegenstandsbereich der Naturwissenschaften, das Universum. Nun gibt es nichts Über- oder Außernatürliches. Denn Über- oder Außernatürliches müsste gegen die Naturgesetze verstoßen. Da nichts gegen die Naturgesetze verstoßen kann (denn so sind sie definiert), gibt es nur die Natur. Diese Position, dass es nur die Natur, nur das Universum gibt, wird meist kurzum als N aturalismus bezeichnet. 40 Nach ihr kann nur dasjenige existieren, was sich ontologisch auf den Bereich der Naturwissenschaften zurückführen lässt, alles andere muss eine Illusion sein.
Hilary Putnam, ein Philosoph, der sich wie kaum ein anderer über viele Jahrzehnte intensiv mit dem Naturalismus und mit den großen naturwissenschaftlichen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts (vor allem in der theoretischen Physik, aber auch der Informatik und mathematischen Grundlagenforschung) beschäftigt hat, vermutet hinter dem Naturalismus eine gewisse Angst. In seinem jüngsten Buch Philosophie in einem Zeitalter der Wissenschaft weist er darauf hin, dass der Naturalismus das Universum von irrationalen Annahmen freihalten möchte. Zu solchen irrationalen Annahmen gehören Erklärungen, die nicht wissenschaftlich nachvollziehbar sind und die nach wissenschaftlichen Standards begründungstheoretisch schwach oder völlig willkürlich sind.
Ein Beispiel: Stellen wir uns vor, jemand erklärte uns, dass die Erde vor zwei Wochen an einem Donnerstag entstanden ist. In diesem Fall würden wir verdutzt erwidern, dass dies nicht der Fall sein kann. Damit es etwa die Alpen gibt, müssen lange geologische Prozesse stattgefunden haben, die sich unmöglich in zwei Wochen ereignet haben können. Dasselbe gilt für unsere eigene Entstehung, zumal wir uns an die Zeit vor jenem Donnerstag erinnern könnten. Wenn unser Informant nun aber erklärte, es sei völlig normal für frisch geschaffene Menschen, diese Überzeugungen zu hegen, sie seien ihnen quasi bei ihrer Erschaffung eingeschrieben
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