Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
offenes Ohr für ihre Kinder. Gleichzeitig glaubt sie nicht an das Konzept der perfekten Mutter, die es ihrer Meinung nach gar nicht gibt.«
Etwas an dem Artikel und an Pailhas’ Einstellung erinnert mich an die französischen Mütter, die mich im Park ignorieren. Im wahren Leben stöckeln sie eher nicht in Christian Louboutins herum, machen aber wie Pailhas deutlich, dass sie zwar hingebungsvolle Mütter sind, sich aber auch mit Dingen beschäftigen, die nichts mit Kindern zu tun haben, und die Momente von liberté ohne schlechtes Gewissen genießen.
Pailhas war ihre überflüssigen Pfunde selbstverständlich schon los, als ihre Kinder aus ihr herausflutschten. Aber die innere Einstellung, die wir auf diesen Bildern vorgeführt bekommen und die ich auch an französischen Müttern in der crêche und im Park wahrnehme, erfordert es auch, dass sie verführerisch aussieht und sich dementsprechend fühlt. 36 Pailhas sieht aus wie eine entspannte, erotische Frau. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nur so glücklich ist wie ihr unglücklichstes Kind.
Ich befrage meine Freundin Sharon, eine belgische Literaturagentin, die mit einem gut aussehenden Franzosen verheiratet ist. Sie hat mit ihm und ihren zwei Kindern schon überall auf der Welt gelebt. Sharon weist mich sofort auf etwas anderes hin, das ich auf den Pailhas-Fotos sehe und auch an den Pariser Müttern in meiner Umgebung wahrnehme.
»Für Amerikanerinnen ist die Mutterrolle abgetrennt von ihrem übrigen Leben und sehr absolut«, so Sharon. »Tragen sie die Mutterbrille, tragen sie auch Mutterklamotten. Sind sie sexy, sind sie gleich übertrieben sexy. Aber die Kinder dürfen nur die Mutter in ihnen erleben.«
In Frankreich verschmelzen »Mutter« und »Frau« idealerweise miteinander. Und man darf jederzeit beide sehen.
31 OECD, »France Country Highlights, Doing Better for Children«, 2009.
32 » Je sorgfältiger und öfter Sie sich beobachten, desto besser werden Sie sich beherrschen«, schreiben Roy F. Baumeister und John Tierny in Die Macht der Disziplin: Wie wir unseren Willen trainieren können, Campus, Frankfurt 2012.
33 Ebda.
34 In einer Studie aus dem Jahr 2004, in der französische und amerikanische Mütter die Wichtigkeit der Aussage »Ich stelle die Bedürfnisse des Kindes stets über meine eigenen« bewerten mussten, vergaben die Amerikanerinnen 2,89 von 5 Punkten, die Französinnen dagegen nur 1,26. Marie-Anne Suizzo, » French and American Mothers’ Childrearing Beliefs: Stimulating, Responding, and Long-Term Goals« , in Journal of Cross-Cultural Psychology 35 , 5 (September 2004): S. 606–626.
35 Violane Belle-Croix, »Géraldine Pailhas, des visages, des figures«, Milk Magazine , September 13, 2010.
36 »Französische Frauen wissen, dass ein Innenleben sexy ist. Es muss genährt, entwickelt, gehätschelt werden …«, so Debra Ollivier in What French Women Know: About Love, Sex, and Other Matters of the Heart and Mind, (G. P. Putnam’s Sons, 2009, New York).
Die perfekte Mutter gibt es nicht
Im Folgenden verrate ich Ihnen ein Geheimnis, von dem Sie vermutlich noch nie etwas gehört haben: Wenn man zwölf Stunden täglich vor dem Computer sitzt und vor lauter Stress ein M&M nach dem anderen einwirft, hilft das nicht gerade abzunehmen.
Mich versetzt es jedoch in die Lage, mein Buch fertigzustellen. Und allein das bloße Vorhandensein dieses Buches auf der Website von Amazon »weckt die Frau in mir«. Genauso wie die dazugehörige Lesereise. Ich fliege nach New York, sans Mann und Kind, um mit jedem über das Buch zu reden, der mir zuhören will, und starre es verliebt in den Buchhandlungen an. Meine eigentliche Verwandlung vollzieht sich jedoch, als das Buch auf Französisch erscheint. Nachdem ich jahrelang inkognito in Paris gelebt habe, bin ich plötzlich landesweit ein Thema. Das Buch ist eine Recherche darüber, wie unterschiedlich verschiedene Kulturen mit Untreue umgehen. (Damit kam ich endlich davon weg, ständig nur über Geld zu schreiben. Außerdem gefiel mir die Idee, von Frankreich aus Nachforschungen dazu anzustellen.)
Amerikaner lesen das Buch als ernst zu nehmende Untersuchung moralischer Fragen. Für die Franzosen ist es bloße Unterhaltung.
Eine Talkshow namens Le Grand Journal lädt mich ein, live und auf Französisch darüber zu diskutieren. Ich habe Le Grand Journal , das fünfmal die Woche um 19 Uhr 05 auf Sendung geht, noch nie geschaut. Meine französische Verlegerin – eine runzlige Frau um die
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