Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
schleift. Sie stottert ein wenig und entschuldigt sich damit, dass sie nur selten mit Erwachsenen rede. Sie hat von den Spielgruppen der englischsprachigen Mütter gehört, möchte aber ihre kostbare Zeit in Frankreich nicht mit anderen Amerikanern verbringen. (Ich versuche, das nicht persönlich zu nehmen.) Sie spricht fließend Französisch und hatte erwartet, ein paar französische Mütter kennen zu lernen und sich mit ihnen anzufreunden.
»Wo sind die ganzen Mütter?«, fragt sie.
Nun, selbstverständlich bei der Arbeit. Französische Mütter arbeiten, nicht zuletzt deswegen, weil es geht. Die qualitativ hochwertigen crêches , die vom Staat geförderten Tagesmütter und anderen Formen der Kinderbetreuung erleichtern ihnen die Rückkehr in den Beruf. Es ist nämlich kein Zufall, dass Französinnen anstreben, nach drei Monaten ihre alte Figur wiederzuhaben: Das ist in etwa der Zeitpunkt, an dem sie wieder ins Büro gehen.
Französische Mütter arbeiten auch deshalb, weil sie es wollen. In einer Befragung des Pew Research Center von 2010 gaben 91 Prozent der französischen Erwachsenen an, dass die Ehen am besten halten, in denen der Mann und die Frau arbeiten gehen. 37
Die französischen Mütter aus meinem Bekanntenkreis kennen auch kaum Frauen, die sich dafür entscheiden, Vollzeitmütter zu sein. »Ich kenne eine, aber die steht kurz vor der Scheidung«, so meine Freundin Esther, die Anwältin. Esther erzählt mir die Geschichte dieser Frau als abschreckendes Beispiel: Sie hat ihren guten Job im Vertrieb gekündigt, um sich um die Kinder zu kümmern. Doch anschließend war sie von ihrem Mann finanziell abhängig und durfte kaum noch ihre Meinung äußern.
»Sie hat ihre Gefühle und ihren Ärger unterdrückt, bis die Missverständnisse immer schlimmer wurden«, erklärt Esther. Nicht ohne hinzuzufügen, dass es auch Umstände gebe, unter denen die Mütter wirklich nicht arbeiten könnten, zum Beispiel wenn ein drittes Kind kommt. Aber jede Arbeitspause sollte zeitlich begrenzt sein, höchstens bis das jüngste Kind zwei ist, so Esther.
Französische Mütter, die berufstätig sind, sagen, es sei gefährlich, länger als ein paar Monate im Job auszusetzen. »Wenn dein Mann morgen arbeitslos wird, was dann?«, fragt meine Freundin Danièle. Hélène, die Ingenieurin mit den drei Kindern, sagt, sie würde am liebsten nicht arbeiten und vom Gehalt ihres Mannes leben. Trotzdem würde sie niemals kündigen. »Ehemänner können einen verlassen«, verkündet sie.
Französinnen arbeiten nicht nur wegen der finanziellen Sicherheit, sondern auch wegen des damit verbundenen Status. Vollzeitmütter haben kein gutes Image, zumindest nicht in Paris. Das Bild der Hausfrau, die beleidigt auf einer Dinnerparty herumsitzt, weil niemand mit ihr reden will, ist weit verbreitet. »Ich habe zwei Freundinnen, die nicht arbeiten. Ich habe das Gefühl, dass sich niemand für sie interessiert«, erzählt mir Danièle. Sie ist Journalistin, Anfang fünfzig und hat eine Tochter im Teenageralter. »Wenn die Kinder groß sind, wie will man sich da noch gesellschaftlich nützlich machen?«
In einem Zeitschriftenartikel steht, der größte Vorteil für nicht berufstätige Mütter sei, »die Kinder aufwachsen zu sehen. Aber ein Leben als Vollzeitmutter hat auch Nachteile wie eine merkliche Isolation und Einsamkeit.«
Da es nicht viele Vollzeitmütter in Paris gibt, gibt es auch nicht viele Spielgruppen, Märchenstunden und Mutter-Kind-Kurse. Wenn es welche gibt, richten sie sich meist an angloamerikanische Mütter. In unsere Spielgruppe geht ein einziges französisches Kind, aber der Junge kommt mit seiner Nanny. Seine Mutter, eine Anwältin, will anscheinend, dass der Junge Englisch hört. (Ich habe allerdings noch nie erlebt, dass er es auch spricht.) Die Mutter taucht genau ein Mal auf, und zwar als sie als Gastgeberin an der Reihe ist. Sie ist aus dem Büro nach Hause gehetzt, trägt High Heels und ein Businesskostüm. Sie sieht uns angloamerikanische Mütter mit unseren Turnschuhen und ausgebeulten Wickeltaschen an, als wären wir exotische Tiere aus dem Zoo.
Die amerikanische Erziehung und alles, was damit zusammenhängt – die Babyzeigekarten ebenso wie die wettbewerbsorientierten Vorschulen –, ist inzwischen in Frankreich schon ein Klischee. Deshalb kann ich kaum glauben, was ich auf einem Spielplatz in New York City tatsächlich beobachte: Es ist einer speziell für Kleinkinder mit einer langsamen Rutsche und ein paar
Weitere Kostenlose Bücher