Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
Frankreich besetzt oder kolonisiert wurde, überzieht ganz Paris mit billigem, köstlichem Ethnofood.)
Virginie behauptet, noch nie eine Diät gemacht zu haben, die man in Frankreich régime nennt.
Sie achtet einfach nur sehr auf sich, manchmal.
»Wie meinst du das?«, frage ich Virginie zwischen zwei Löffeln Nudelsuppe.
»Kein Brot!«, sagt sie im Brustton der Überzeugung.
»Kein Brot?«, wiederhole ich ungläubig.
»Kein Brot«, bestätigt mir Virginie ebenso unerbittlich wie gelassen.
Damit meint Virginie nicht, dass sie niemals Brot isst. Nur kein Brot unter der Woche von Montag bis Freitag. An den Wochenenden und wenn sie manchmal unter der Woche ausgeht, isst Virginie angeblich, was sie will.
»Was du willst, aber in bescheidenen Mengen, willst du damit sagen?«
»Nein, ich esse, was ich will«, sagt sie im selben Brustton der Überzeugung.
Dasselbe beschreibt Mireille Guiliano in Warum französische Frauen nicht dick werden: Das Geheimnis genussvollen Essens. Guiliano schlägt darin vor, sich pro Woche nur einen Tag »Auszeit« zu gönnen und es auch dann nicht zu übertreiben mit dem Essen. Ich finde es inspirierend zu sehen, dass jemand diese Regel tatsächlich anwendet, und das mit Erfolg.
»Auf sich achten« ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Französinnen rein intuitiv wissenschaftliche Erkenntnisse befolgen. Forscher fanden heraus, dass die beste Methode, um abzunehmen und sein Gewicht langfristig zu halten, darin besteht, sich sorgfältig zu beobachten – zum Beispiel, indem man ein Ernährungstagebuch führt und sich täglich wiegt. 32 Sie haben auch festgestellt, dass die Leute mehr Disziplin haben, wenn sie sich bestimmte Nahrungsmittel nicht ganz verbieten, sondern sich damit trösten, diese später zu essen 33 (vermutlich am Wochenende).
Mir gefällt auch die neutrale, pragmatische französische Formulierung »auf sich achten«. Hat man mal kurz nicht auf sich geachtet und etwas Kuchen genascht, kann man sich leicht vergeben und sich bei der nächsten Mahlzeit intelligenter ernähren.
Laut Virginie ist diese Art zu essen ein offenes Geheimnis unter den Pariserinnen. »Jede Dünne, die du siehst« – sie fährt ihre schmalen Konturen nach – »achtet sehr auf sich.« Sobald Virginie glaubt, ein paar Pfund zugenommen zu haben, achtet sie noch mehr auf sich. (Meine Freundin Christine bringt dieses System auf den Punkt: »Pariserinnen essen nicht sehr viel.«)
Während des Mittagessens mustert mich Virginie und kommt offensichtlich zu dem Schluss, dass ich nicht genügend auf mich achte.
»Du trinkst café crème , nicht wahr?«, fragt sie. Café crème ist die Pariser Bezeichnung für café au lait : eine Tasse dampfender Milch mit einem Schuss Espresso, aber ohne Schaum, was das Ganze zu Cappuccino machen würde.
»Ja, aber mit Magermilch«, gestehe ich leise. Aber nur zu Hause. Laut Virginie ist sogar Magermilch schwer verdaulich. Sie trinkt café allongé – einen Verlängerten, sprich einen mit Wasser gestreckten Espresso. (Filterkaffee ist ebenfalls erlaubt.) Ich notiere mir Virginies Vorschläge – Mehr Wasser trinken! Treppen steigen! Spazieren gehen! – als wären sie die reinste Offenbarung.
Ich bin nicht übergewichtig, sondern wie meine Freundin Nancy bloß mütterlich. Es besteht also nicht die Gefahr, dass Bean sich an meinem Hüftknochen stoßen könnte, wenn ich sie auf den Schoß nehme. Aber ich wäre gern dünn. Ich habe mir geschworen, nicht mehr schwanger zu werden, bis ich mein Buch beendet und mein Wunschgewicht erreicht habe. (Nach mehreren Jahren in Frankreich weiß ich immer noch nicht, ob ich einen Pulli anziehen soll, wenn ich die Temperatur in Celsius genannt bekomme. Ich weiß auch nicht, wie groß jemand ist, wenn ich eine Zentimeterangabe höre. Aber ich weiß auf Anhieb, ob mein Körpergewicht in Kilogramm bedeutet, dass ich noch in meine Jeans passe oder nicht.)
* * *
Natürlich sind französische Mütter nicht nur deshalb anders, weil sie dünn sind. Und das sind auch nicht alle. Außerdem lerne ich Amerikanerinnen kennen, die ebenfalls nach drei Monaten wieder in ihre alten Jeans passen. Aber die kann ich im Park schon von Weitem anhand ihrer Körpersprache identifizieren. Genau wie ich beugen sie sich über ihre Kinder und verteilen Spielzeug im Gras, während sie den Boden nach Gegenständen abtasten, die versehentlich eingeatmet werden könnten. Sie stellen sich unverkennbar in den Dienst der Kinder.
Französinnen erkennt man daran,
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