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Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Titel: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Druckerman
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Wipptieren, der durch einen Zaun vom restlichen Park abgetrennt ist. Der Spielplatz ist so angelegt, dass Kleinkinder gefahrlos darin herumklettern und fallen können. Dann kommt eine Mutter aus der oberen Mittelschicht mit ihrem Sohn. Sie folgt ihm auf Schritt und Tritt und hält dabei einen ständigen Monolog: »Möchtest du auf den Frosch, Caleb? Willst du auf die Schaukel?«
    Caleb ignoriert ihre Fragen. Er will offensichtlich nur herumbummeln. Aber seine Mutter verfolgt ihn und kommentiert jede seiner Bewegungen. »Du steigst ja Stufen, Caleb!«, ruft sie irgendwann völlig begeistert.
    Ich gehe davon aus, dass Caleb eine besonders ehrgeizige Mutter hat. Aber dann kommt die nächste Mutter aus der oberen Mittelschicht durchs Tor. Sie schiebt ein blondes Kleinkind im schwarzen T-Shirt vor sich her und beginnt ebenfalls, alles, was das Kind tut, zu kommentieren. Als der Junge zum Zaun geht und auf den Rasen starrt, findet die Mutter anscheinend, das sei nicht stimulierend genug. Sie eilt zu ihm und stellt ihn auf den Kopf.
    »Du stehst kopf!«, ruft sie. Bald darauf schiebt sie ihr T-Shirt hoch, um dem Jungen einen Schluck Milch anzubieten. »Wir sind in den Park gegangen! Wir sind in den Park gegangen!«, zwitschert sie, während er trinkt.
    Solche Szenen erlebe ich auch mit anderen Müttern und ihren Kindern.
    Nach etwa einer Stunde kann ich genau vorhersagen, ob eine Mutter, die auf den Spielplatz kommt, mit diesem »kommentierten Spielen« anfangen wird oder nicht. Dafür muss ich mir nur anschauen, was ihre Handtasche gekostet hat. Am meisten wundert mich, dass sich die Mütter nicht schämen, sich wie plemplem anzuhören. Sie flüstern ihre Kommentare nicht, sondern verkünden sie lauthals.
    Als ich Michel Cohen, dem französischen Kinderarzt in New York, diese Szene beschreibe, weiß er sofort, was ich meine. Diese Mütter sprächen laut, um damit anzugeben, was für tolle Eltern sie sind. Die Praxis des kommentierten Spielens ist so weit verbreitet, dass Cohen ein eigenes Kapitel in seinen Elternratgeber aufgenommen hat, das mit »Stimulation« überschrieben ist und in dem hauptsächlich steht, dass Eltern das besser seinlassen sollen. »Phasen des Spielens und Lachens sollten sich auf ganz natürliche Weise mit Ruhephasen abwechseln«, schreibt Cohen. »Man muss nicht ständig reden, singen oder stimulieren.«
    Mal ganz abgesehen davon, wie man persönlich zu dieser ständigen Bespaßung steht oder ob sie überhaupt gut für die Kinder ist – es macht ihre Betreuung nur noch anstrengender. 38 Vor allem, weil sich dieses Verhalten der Mütter auch jenseits des Spielplatzes fortsetzt. »Wir liegen vielleicht nicht mehr nächtelang wach und zerbrechen uns darüber den Kopf, wie wir unsere Wäsche weißer als weiß bekommen. Dafür haben wir mit Sicherheit schlaflose Nächte, weil unser Jasper immer noch in die Windeln macht«, so Katie Allison Granju. Sie beschreibt eine andere Mutter mit Biologiestudium, die die gesamte letzte Woche damit verbracht hat, ihrem Kind beizubringen, wie man einen Löffel benutzt.
    Diese Biologin hat sich bestimmt gefragt, ob sie noch ganz dicht ist. Wir amerikanischen Mütter wissen, dass die Elternrolle einem so einiges abverlangt. Wie die Eltern, die Piaget die »amerikanische« Frage gestellt haben – »Wie können wir die Phasen der Kindesentwicklung beschleunigen?« –, glauben auch wir, dass das Tempo, mit dem unsere Kinder sich entwickeln, von uns abhängt, davon, wie aktiv wir uns mit ihnen beschäftigen. Deshalb empfinden wir den Preis für das Seinlassen des Löffeltrainings oder des kommentierten Spielplatzbesuches als zu hoch – vor allem, wenn die anderen Eltern es nicht ebenfalls seinlassen.
    Die Ansprüche daran, wie sehr sich Mittelschicht-Mütter mit ihren Kindern beschäftigen sollten, sind in den letzten Jahren rasant gestiegen. Kommentiertes Spielen und intensives Löffeltraining sind Beispiele für jene besondere Unterstützung und Förderung durch die Eltern, die mit dem Erziehungsideal der concerted cultivation beschrieben werden, das die Soziologin Annette Lareau an amerikanischen Mittelschicht-Eltern beobachtet hat. 39
    Für diese Eltern sind ihre Kinder ein Projekt, so Lareau. »Sie versuchen, deren Talente und Fähigkeiten mit Hilfe zahlreicher organisierter Aktivitäten weiterzuentwickeln, ihr logisches Denken und die Sprachentwicklung zu fördern und ihre Schulerfahrungen engmaschig zu kontrollieren.«
    Mein Entschluss, in Frankreich zu leben,

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