Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
fünfzig mit einem Rolodex aus purem Gold –, erklärt mir, die Sendung sei eine französische Institution, eine Art Mischung aus Late-Night-Show und Polittalksendung. Moderator Michel Denisot ist eine journalistische Legende. Er und eine Reihe von Interviewern nehmen jeden Gast in die Mangel. Alle sind geistreich, aber auch ein bisschen grob.
Meine Verlegerin ist begeistert über die Publicity, schiebt aber Panik wegen meiner Französischkenntnisse. Sie arrangiert mehrere Stunden bei einem französischen Geschäftsmann für mich, in denen ich Übungsfragen auf Französisch beantworten muss. Er scheint ebenfalls nervös zu sein und erinnert mich wiederholt daran, dass das Wort affaire auf Französisch nichts Außereheliches bedeutet, dafür muss ich aventure oder liaison sagen.
Als der Sendetermin gekommen ist, fühle ich mich gut vorbereitet. Ich konzentriere mich so darauf, die Fragen zu verstehen, dass ich nicht mal nervös bin. Zum Glück sind es überwiegend die, die ich geübt habe. Wie ich auf die Idee zu diesem Buch gekommen bin? Wie Frankreich im Vergleich zu den Vereinigten Staaten abschneidet? Als einer der Interviewer wissen will, ob ich während der Arbeit an dem Buch selbst untreu war, klappere ich kokett mit den Wimpern und sage, ich sei Journalistin und dementsprechend très professionelle . Die Interviewer und das Studiopublikum sind begeistert.
Daran anknüpfend scheint Denisot das Interview zu beenden, und meine Konzentration lässt nach. Dann höre ich plötzlich wieder meinen Namen. Denisot richtet eine weitere Frage an mich. Er kann es partout nicht lassen. Es geht irgendwie um Moïse – französisch für Moses – und einen Blog. Hatte Mose einen Blog? Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was er mich fragt.
Auf einmal fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Denisot sagt nicht »blog«, sondern blague , französisch für Witz. Ich soll einen Witz aus meinem Buch erzählen. Und zwar den, in dem Moses vom Berg Sinai herabsteigt und sagt: »Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute ist, dass ich ihn auf zehn Gebote runterhandeln konnte. Und die schlechte, dass Ehebruch immer noch verboten ist.«
Das ist keine der Fragen, die ich eingeübt habe. So spontan weiß ich gar nicht mehr genau, wie der Witz geht, und erst recht nicht auf Französisch. Was heißt »Berg«? Und was »Gebot«? Ich bringe nicht mehr heraus als »Ehebruch ist immer noch verboten.« Zum Glück ist mir das Publikum wohlgesinnt und lacht. Und Denisot ist klug genug, zum nächsten Gast überzuleiten.
Ich bin dankbar, so öffentlichkeitswirksam ins Berufsleben zurückzukehren. Damit passe ich wieder in die französische Gesellschaft. Denn da französische Mütter nicht stillen, sondern sich Kopf und Körper so schnell wie möglich zurückerobern, gehen sie auch bald nach der Geburt wieder arbeiten. Mütter mit einem Studienabschluss geben ihre Karriere so gut wie nie auf, weder vorübergehend noch auf Dauer. Erzähle ich Amerikanern, dass ich ein Kind habe, fragen sie in der Regel: »Arbeitest du?« Während Franzosen dagegen bloß fragen: »Als was arbeitest du?«
Zu Hause in den Vereinigten Staaten kenne ich viele Frauen, die aufgehört haben zu arbeiten, um ihre Kinder großzuziehen. In Frankreich kenne ich genau eine. Ich kann mir ausmalen, wie mein Leben als Vollzeitmutter in Frankreich aussähe, als ich eines Vormittags die Arbeit ruhen lasse und mit Bean in den Park gehe. Unser Park wurde im 19. Jahrhundert auf dem Gelände des früheren Templerpalasts errichtet. Das klingt sehr nach Da-Vinci-Code, doch die Anlage ist ziemlich großstädtisch. Dort wird man eher auf einen vergessenen Schnuller als auf ein mittelalterliches Relikt stoßen. Es gibt einen kleinen See, eine pseudogusseiserne Gartenlaube und einen Spielplatz, der sich füllt, sobald die Schule aus ist.
Bean und ich sitzen in der Laube, als ich plötzlich zusammenzucke, weil ich amerikanisches Englisch höre. Es kommt von einer Frau mit zwei kleinen Kindern. Es dauert nicht lange, und wir tauschen unsere Lebensgeschichten aus. Sie erzählt mir, dass sie ihren Job aufgegeben hat, um ihrem Mann während seines einjährigen Sabbaticals nach Paris zu folgen. Er macht hier seine Recherchen, während sie sich die Stadt ansieht und sich um die Kinder kümmert.
Neun Monate nach Beginn dieses Sabbaticals sieht sie allerdings nicht aus wie jemand, der die Stadt des Lichts genießt. Sondern wie jemand, der zwei Kleinkinder im Park hin und her
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