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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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Leben der Menschen begreiflich machen könnte. Die Seele war gar zu oft ermahnt worden, ihren Leib nur als ‹Instrument› anzusehen und ihn zu ‹gebrauchen›, nicht ihn zu ‹genießen›. Was die Seele verlor, gewann der Leib. Reformbewegungen und bessere medizinische Versorgung, Sport und Jugendbewegung behaupteten seit Beginn des 20. Jahrhunderts, von jetzt an wohne ein gesunder Geist in einem gesunden Körper. Dieser Spruch hatte zwei Nachteile: Er galt nur so lange, bis ein ungesunder Geist gesunde Leiber auf Schlachtfeldern vernichtete. Und zweitens klang dieser Spruch selbst noch nach dem alten Leib-Seele-Dualismus, den Philosophen wie Heidegger und Merleau-Ponty theoretisch abbauten. Sie wollten den Menschen ganzheitlich von seinem realen Leibleben her begreifen. Arnold Gehlen löste in der philosophischen Anthropologie die immer noch am Geist orientierte Philosophie von Max Scheler ab. Das Konzept ‹Seele› kam außer Gebrauch. Die römische Glaubenskongregation befahl zwar unter bewährter Leitung noch am 17. Mai 1979, Theologen müßten bei eschatologischen Erörterungen das Wort ‹Seele› beibehalten, aber nicht einmal alle Katholiken folgten, schon gar nicht Lutheraner.
    Heute überlagern sich im Seelenbegriff des Christentums drei archäologische Schichten:
Zuunterst die neutestamentliche Erwartung baldiger Auferstehung der Toten,
zweitens die Tröstung mit dem Übergang der Geistseele in die Ewigkeit,
drittens die mehr oder weniger halbherzige Hume-Nachfolge, also Kritik am substanzialen Seelenbegriff. Natürlich will niemand das Wort ‹Seele› verbieten oder auch nur entbehren; was in Frage steht, ist allein ihr Charakter als zeitüberlegene Substanz und damit der frühere philosophische Beweis ihrer Unsterblichkeit.
    Alte Institutionen geben selten etwas auf, was sie sich einmal einverleibt haben. Aber seit dem 18. Jahrhundert verlor das ins Jenseits verlagerte Seelenglück nicht nur an Plausibilität, sondern auch an Attraktivität. Das Leben wurde für viele angenehmer und dauerte länger; mancher war’s zufrieden, am Ende bei seinen Vätern versammelt zu sein. Wer die Spitze seines Ichbewußtseins lästig fand, wer gar vom Ich sprach als von dem «dunklen Despoten», zog es vor, von ihm befreit zu werden. Als es dann vor Verdun ans Sterben ging, ließ der Tod sich nicht mehr als Befreiung von der Last des Leibes feiern. Das war nicht mehr die barocke Todeserfahrung als Überschritt der Seele ins Jenseits. Wir lernten, daß wir die Erdenschwere und die Endlichkeit brauchen. Philosophen, die realiter Zeitgenossen waren, dachten den Menschen als Person, nicht mehr als Seele, die einen Leib hat. Die kirchlichen Auffassungen der Sexualität, die aus der Zeit des Leib-Seele-Dualismus stammten, veralteten.
    Theologen in Deutschland entwickelten seit den dreißiger Jahren meist gegen Nietzscheaner einen auffälligen Eifer zu behaupten, das Christentum sei nicht leibfeindlich. Sie entfalteten Scharfsinn und Wortklauberei, um zu beweisen, daß wenn Paulus abfällig vom ‹Fleisch› rede und mit der Sünde quasi identifiziere, dann sei nicht unser Leib gemeint. Je weniger das paulinische Fleisch gegen den Geist löckte, um so älter sah die Seele aus. Mancher Gottesgelehrte läßt heute die Seele mit dem Tod dahinsiechen, in der Annahme, Gott werde sie beim Posaunenschall am Jüngsten Tag wohl schon wiedererwecken. Aber kennt sie, wenn sie dann vor dem Weltenrichter steht, noch ihre alten Untaten? Weiß sie überhaupt, wer sie im Erdenleben war? Gibt Gott ihr eine neue Identität? Läßt sich ‹Identität des Bewußtseins› überhaupt als etwas denken, das dupliziert werden kann? Diese neue Eschatologie braucht Aushilfshypothesen, die noch unhaltbarer sind als die alte Unsterblichkeitslehre.
    4.  Himmel und Hölle
    Die Einwände gegen die Seele als Substanz sind keine Modesache. Es ist leichter zu behaupten, der fromme Christ brauche die Seelensubstanz nicht, als diese Kritiken zu durchdenken oder gar zu widerlegen. Aber nehmen wir selbst an, einem Philosophen von heute sei es gegen alle Trends schließlich gelungen, die Unsterblichkeit der Seele zu beweisen. Dann hätte er zwar das Überleben der Seele gerettet, aber noch längst nicht das bunte Szenario von Himmel und Hölle begründet, das den sterbenden Christen erwartet. Unser Seelenphilosoph müßte noch einen Weltenrichter auftreiben und überdies plausibel machen, daß körperliche Strafen mit Feuer oder Eis die Geistseele quälen

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