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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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der praktischen Vernunft einen neuen Beweis für die Unsterblichkeit der Menschenseele führen zu können. Diese Zweiteilung fand weniger Zustimmung als seine Kritik an der Metaphysik der substantialen und zeitüberdauernden Seele.
    Christen nach Kant sahen sich vor der Wahl, entweder die Philosophie offen zur Magd der Theologie zu erniedrigen oder ihre apologetische Verwendung aufzugeben, also auf Unsterblichkeitsbeweise zu verzichten. Entschieden sie sich für die zweite Möglichkeit, entzogen sie dem Jenseitsglauben den Schutzschild allgemeiner Vernunft. Die Theologie stand dann ohne Protektion der allgemeinen Vernunftkultur da. Sie überließ sich dem Schutz des Allerhöchsten, wurde darüber aber unruhig, sprach immer lauter, gebärdete sich trotzig und defensiv; sie brach sowohl mit der historischen wie mit der spekulativen Theologie und verwechselte zunehmend Argumentation mit Predigt. Ein solcher Theologe will ‹Glaubenszeugnis ablegen›. Dazu braucht er weder philosophische Gotteslehre noch Metaphysik der Seele. Ohne sie steht er ungeschützt, von der wissenschaftlichen Kultur isoliert da. Er zerschneidet die Nabelschnur, die Gläubige nach der Enttäuschung ihrer ersten Heilserwartungen mit dem griechischen Denken verbunden hatte.
    Die Ideenentwicklung der letzten Jahrzehnte hat die Berufung auf die Geistseele aussichtslos gemacht. Die Seelenmetaphysiker – darunter auch Aristoteles und Thomas von Aquino – hatten gelehrt, für das reine Denken brauche die Geistseele kein körperliches Organ. Ein solches würde ihre Zuwendung zur Gesamtheit der Realität nur behindern. Aber genau dieses Organ, das Gehirn, steht seit einiger Zeit im Mittelpunkt äußerst ergebnisreicher Forschungen. Die alten Bedenken, was die Forma des Leibes ohne Leib ausrichten könne, ob sie noch denke oder wolle, kehren verstärkt zurück. Das Wasser der Geistphilosophie haben Theologen sich selbst abgegraben. Es gibt weiterhin freie Forschung zur Philosophie des Bewußtseins. Wenn es alle seine Inhalte begrifflich bestimmt, kann es selbst nicht die Merkmale seiner gegenständlichen Inhalte tragen. Dann hat es, wie Aristoteles sagte, mit nichts etwas gemein. Dann ist es nicht nur ein Teil der Natur. Aber diese Behauptung gerät zunehmend in die Kritik. Darüber gibt es heute Diskussionen, vor allem bei Philosophen, die sich nicht einschüchtern lassen mit der Redensart, sie lebten im nachmetaphysischen Zeitalter. Doch Untersuchungen dieser Art führen ins Unwegsame, nicht in die theologische Propädeutik. Sie untermauern nicht mehr die Jenseitshoffnung der Christen, ganz abgesehen davon, daß, wenn der späte Augustin recht behält, die meisten Menschen das Jenseits mehr zu fürchten als zu erhoffen haben.
    3.  Arme Seele
    In der Sprache meiner Großmütter war eine ‹arme Seele› ein Verstorbener, dessen besserer Teil im Fegefeuer schmorte, um seine mittelschweren und leichten Sünden abzubüßen. Zwar verdient das Fegefeuer hohes theoretisches und historisches Interesse; aber hier verstehe ich unter der ‹armen Seele› nicht die Seele im Fegefeuer, sondern ich berichte von ihrer allmählichen Verarmung seit etwa 1800. Sie verlor ihre herrliche Stellung; zuletzt fanden sie sogar Theologen nicht mehr ansehnlich. Das platonisierende Seelenkonzept war in bedrängter Lage seit David Humes und Kants Kritik am beanspruchten Wissen von substantiellen Seelen; ihr Los verschlechterte sich mit dem Aufkommen der empirischen Psychologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Selbst die Seelenkundler verabschiedeten sie. Friedrich Albert Lange sprach schon 1866 von ‹Psychologie ohne Seele›. ‹Psychologie› als empirische Wissenschaft von seelischen Reaktionen und Aktionen hatte nichts mehr mit der ‹unstofflichen, sich durchhaltenden Substanz› der Vorzeit zu tun. Nietzsche schleuderte dem theologischen Seelenbild entgegen, ‹Seele› sei nur ein anderes Wort für etwas am Leibe. Das war nicht nur Polemik. Nietzsche korrigierte das Übermaß des an Seele, Bewußtsein und Moral orientierten Verständnisses des Menschen; er lehrte eine neue menschliche Selbsterfahrung als Leib. Seitdem wurde die Seele immer heftiger kritisiert. Inzwischen war klar, daß sie an ein körperliches Organ gebunden war, was selbst der Biologe Aristoteles bestritten hatte, nämlich an das Gehirn. Noch schlimmer für ihr Prestige: Sie galt als zu cartesianisch-intellektualistisch oder zu theologisch-moralistisch konzipiert, als daß sie das ganzheitliche

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