Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
Individualität. Auf die kam es aber an im christlichen System ewigen Lohns und immerwährender Strafe. Die Verzögerung der Wiederkehr des himmlischen Herrn verlagerte die Erlösungsfreuden ins himmlische Paradies; dazu mußte die Menschenseele unsterblich sein; aber diese neue Anleihe beim platonisch-aristotelischen Denken schuf neue Probleme. Paßte sie zu den neutestamentlichen Versprechungen und Drohungen? Augustin bemühte sich, die Menschenseele rein geistig zu denken; andere Lehrer gaben der Seele einen subtilen, luftartigen Körper bei. Für Origenes, Dante und Leibniz war allein Gott reiner Geist. Aber Augustin sublimierte die Geistseele so sehr, daß sie eine Mittelstellung zwischen Gott und dem Leib einnahm. Er dachte die Selbsterkenntnis als Schlüssel zur Gotteserkenntnis und fand in der Einheit von Erinnern, Einsicht und Wollen eine Entsprechung zum drei-einen Geist Gottes.
Doch der Unsterblichkeitslehre drohte außer der Ent-Individualisierung der Seele durch den Geist noch von einer anderen Seite her Gefahr. Die Seele war schon bei Platon nicht so rein jenseitig gedacht, wie es denen vorkam, die von Platon nur den Dialog Phaidon gelesen hatten, in dem es um den Tod des Sokrates und seine Jenseitsaussichten ging. Platons ‹Seele› hatte noch andere Funktionen; sie bewirkte Leben; sie stand ihm nicht nur als andersartig gegenüber. Sie war Naturkraft. Sie beseelte einen Leib. Es gab einen gewissen Dualismus zwischen Geist und Stoff, aber es bestand auch der Zusammenhang von Grund und Begründetem. Ihn arbeitete der Platonschüler Aristoteles gegen seinen Lehrer scharf heraus. Er nannte die Seele die Form des Leibes. Diese einheitlichere Konzeption galt im 13. Jahrhundert vielen als heidnisch; 1311 wurde sie kirchliches Dogma.
Die Form muß dem Stoff entsprechen. Als sein Lebensprinzip muß sie zu ihm passen. Dann war zwar die Gefahr des Dualismus und des Verschwimmens im Allgemeinen und Ewigen gebannt, aber es war auch nicht recht einzusehen, was eine Forma noch wirken sollte, wenn sie nichts mehr hatte, was sie formen könnte. Daher fingen späte Scholastiker – Averroisten und Ockhamisten – damit an zu bestreiten, daß die Unsterblichkeit der Seele philosophisch beweisbar sei. Nominalisten sahen einen Widerspruch zwischen der Definition der Seele als Form des Leibes und der Unsterblichkeitslehre. Luther folgte ihnen, glaubte aber weiter an Seelenunsterblichkeit. Naturphilosophen und Ärzte untersuchten den Zusammenhang zwischen Körperzuständen und Gemütsbewegungen. Sie untersuchten Melancholie als Funktion der Leber. Psychologische Typenlehren sprachen von Cholerikern und Melancholikern und stärkten die Ansicht von der Untrennbarkeit von Seele und Leib. Auch diese Sichtweise bedrohte die individuelle Unsterblichkeit, um derentwillen christliche Denker doch das philosophische Seelenkonzept adoptiert hatten, nachdem es volkstümliche Psyche-Bilder von Atem, Blut, Traum und ekstatischer Entrückung entweder absorbiert oder auf das Feld der Medizin ausgelagert hatte. Es folgten Konflikte. Immer schärfer werdende Unterscheidungen versuchten, sie aufzufangen. Am Ende ergab sich ein Salat begrifflicher Feinheiten, die zum Trost Sterbender nichts taugten und den anti-philosophischen Protest frommer Seelen auslösten.
Der griechische Seelenbegriff war ein trojanisches Pferd in der Gottesstadt. Er erzeugte ähnliche Schwierigkeiten wie die Rezeption des philosophischen Gottesbegriffs: Diese Importe verursachten, besonders seit dem 14. Jahrhundert, Debatten, die so kompliziert wurden, daß sie zum theologischen Gebrauch wenig beitrugen. Sie taugten nicht mehr als Weg zum Glauben. Unsterblichkeitsbeweise wurden fast zum Sondergut kirchlich kontrollierter Philosophie. Paradoxerweise befahl ihnen das 5. Laterankonzil von 1512/1513, die philosophische Beweisbarkeit der Seelenunsterblichkeit zu beweisen. Die dieser Anordnung nachkamen, waren mehr Theologen als Philosophen; sie schrieben ihre Weltanschauung um in philosophische Terminologie. Kant schien ihnen später zu Hilfe zu kommen; er leitete die Unsterblichkeit der Seele, die er aus dem Feld der theoretischen Vernunft verwiesen hatte, von der praktischen Vernunft ab, denn ohne jenseitigen Ausgleich gebe es keine Entsprechung zwischen dem Glück der Menschenseele und ihrer Würdigkeit, glücklich zu sein. Er rettete damit noch einmal dieses eine Element der griechischen Philosophie: den internen Bezug der Geistseele auf gesichertes Glück. Aber
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