Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
seine Hilfe stand im Gegensatz zu den erfahrungsphilosophischen Dicta der Kritik der reinen Vernunft; sie konnte kaum wirksam werden. Einige Theologen verzichteten dann lieber auf diese schwachgewordene Abstützung; sie zogen den reinen, den radikal gedachten Glauben einer Harmonisierung vor. Karl Barth glaubte Gott einen Dienst zu tun, indem er die Unsterblichkeits- und damit die Persönlichkeitsidee preisgab und an ihre Stelle die Auferstehung des Leibes setzte, als habe diese nicht bereits eine Weile auf sich warten lassen und als sei es eine menschenwürdige Vorstellung, die gepriesene Allmacht hole am Jüngsten Tag ein übernatürlich geklontes oder ein gut konserviertes eingeschlafenes Individuum aus dem Grab. Dem Seelenbegriff ging es wie dem Gotteskonzept: Die Diskussion geriet so kontrovers, daß jemand, der sich fragte, ob er den christlichen Glauben annehmen könne, weder aus der philosophischen Theologie noch aus der philosophischen Seelenlehre Nutzen ziehen konnte. Gott und Seele blieben, rein theoretisch betrachtet, tiefsinnige Themen. Was das Absolute ist und wie Bewußtsein philosophisch zu analysieren sei, das blieben offene Fragen, aber ihr Nutzen zur Glaubensabsicherung war dahin. Sie ließen sich aber auch gegen den Kirchenglauben stellen. Das hatte der Deismus des 18. Jahrhunderts mit dem philosophischen Gottesbegriff vorgeführt.
Die Seele verlor ihre beweisbare Unsterblichkeit. Das war ein so einschneidender Vorgang, daß ich ihn näher beschreiben will.
Für Leibniz und für die Schule von Christian Wolff war die Unsterblichkeit der Seele noch beweisbar. Ihr Argument war, vereinfacht, folgendes: Ich denke. Ich bin ein Denkendes. Ich bin Denken als Substanz. Die Substanz übersteht den Wechsel ihrer einzelnen Akte oder Eigenschaften. So überdauert die geistige Seele den Tod. Denn sie ist nicht aus Teilen zusammengesetzt. Nur wo trennbare Teile vorliegen, ist die Zerstörung eines Wesens möglich. Die Seele ist einheitliche Tätigkeit; sie ist als einheitsstiftende Kraft nicht zusammengesetzt und in diesem Sinn ‹einfach›. Daher ist sie unzerstörbar.
Dieses Argument hat Kant in der Kritik der reinen Vernunft (B 399–432) mit folgender Überlegung, die ich ein wenig vereinfache, kritisiert: Unbestreitbar ist der Ausgang von dem Urteil: Ich denke. Das Ich, das so spricht, ist bei allen seinen Denkakten mit dabei oder muß doch als dabeiseiend gedacht werden können. Diesen Einheitspunkt aller Gedanken nennen wir ‹Seele›. Von ihr muß die Philosophie reden, auch wenn sie nicht sichtbar ist. «Ich, als denkend, bin ein Gegenstand des inneren Sinns und heiße Seele.» Dieses Ich ist nicht empirisch gegeben, aber wir wissen es als die Bedingung jeder Erfahrung. Es ist nicht Empirie, aber es ermöglicht Wissen von Empirie. Es ist in dem Sinn ‹einfach›, als es nicht räumlich Teile außer Teilen hat. Damit ist das Konzept ‹Seele› rehabilitiert, aber mit einschneidender Einschränkung: Von dieser ‹Seele› können wir nicht sagen, sie sei Substanz, sie sei unzerstörbar und daher unsterblich. Das Ich denke macht Begriffe wie ‹Substanz› oder ‹Ursache› möglich. Es braucht sie, um Erfahrungsdaten zu erkennen. Aber auf das Ich denke angewandt, also ohne sinnliche Anschauung gebraucht, verlieren Begriffe wie ‹Substanz› oder ‹Ursache› ihren Sinn. Solange der Mensch lebt, ist das Ich denke mit sinnlicher Anschauung verbunden; dann kann ich von ihm auch sagen, daß es über die Zeit hin beharrt, aber was es außer der Zeit und ohne sinnliche Erfahrung wäre, das kann ich aus dem Ich denke nicht gewinnen. Das Ich denke ist kein Ding, sondern das bloße Bewußtsein, das alle Begriffe begleitet. Es ist kein weiterer Inhalt des Bewußtseins, sondern seine Form. Erkennen heißt: Eine gegebene Anschauung im Blick auf die Einheit des Bewußtseins bestimmen. Die bloße Einheit für sich betrachtet gibt keine weitere Erkenntnis her, auch wenn wir von ihr sagen können, sie sei ein Singular und könne nicht in eine Vielheit der Subjekte aufgelöst werden. Sie ist ein Subjekt aller Sätze, aber als deren logische Bedingung, nicht als tragende und überdauernde Substanz. «Der Begriff der Substanz bezieht sich immer auf Anschauungen, die bei mir nicht anders als sinnlich sein können.» Daher läßt sich die Identität der Person und ihre Unsterblichkeit aus dem Ich denke nicht beweisen. Dies gilt strikt für die theoretische Philosophie, während Kant davon überzeugt war, mit Hilfe
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