Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
des Zacharias hervorzuheben, die Verwechslung nicht nur erlaubt, sondern kraft eigener Autorität befohlen. [6]
Dem Historiker sträuben sich die Nackenhaare: Der Evangelist Matthäus behauptet, der Judaslohn von 30 Silberlingen sei beim Propheten vorausgesagt. Augustin weiß, daß bei Jeremias davon nicht die Rede ist, wohl aber bei Zacharias. Er erwägt die einfache Lösung, daß es sich um einen Schreibfehler handelt. Er gestattet diese Ansicht, aber er macht sie sich nicht zu eigen. Daß ein Schreibfehler vorliege und daß Zacharias, nicht Jeremias gemeint sei, ist ihm zu simpel. Sein Gott schreibt auf krummen Zeilen gerade. Selbst der falsche Prophetennamen beweist ihm die Weisheit des inspirierenden Gottesgeistes, obwohl bei Jeremias die 30 Silberlinge nicht vorkommen, also mit seinem Text der von Matthäus behauptete Weissagungsbeweis nicht zu führen ist. Für Augustin ist Prophet gleich Prophet, da Gott alle Propheten gleichermaßen inspiriert. Er sieht allein die geheimnisvolle Absicht Gottes, der die Geister der Propheten leitet. Das Textproblem verschwindet. Die Differenzen sind eingeebnet. Die Übereinstimmung aller Bibeltexte steht ihm aufgrund der Inspiration fest. Er will den offenbaren Fehler nicht korrigieren; die theologische Ewigkeitsperspektive macht Ambiguität erträglich. ‹Jeremias› und ‹Zacharias›, das klingt nur verschieden, meint aber immer den Propheten als Werkzeug Gottes. Daher kommt es auf den Namen nicht an.
So abenteuerlich das gedacht ist, unter bestimmten Prämissen war es plausibel: Wenn alle biblischen Texte Gottes wörtliches Wort sind, dann besteht die eigentlich theologische Auslegung darin, sie als aus der Ewigkeit gesprochen zu denken. Dann sind Zeitdifferenzen und individuelle Perspektiven zweitrangig. Ihre Divergenzen betreffen Nebensachen. Für uns heute liegen die verschiedenen biblischen Texte um eine ganze Reihe von Jahrhunderten auseinander. Sie belegen Auseinandersetzungen, Gruppenbildungen und Konflikte. Die historisch-kritische Analyse sieht sie zeitgebunden, aus Quellen zusammengesetzt, als Korrektur früherer Autoritäten. Denkt der christliche Leser jedoch, die Bibel sei als ganze Gottes Wort, dann unterstellt er, sie sei von Anfang bis Ende dieselbe Wahrheit Gottes, zeitüberlegen, überindividuell. Die einzelnen Schriftsteller sieht er als Hände Gottes; deren Individualität und historische Situation zählt nicht, bildet keinesfalls Widersprüche zu anderen biblischen Stimmen; sie sind alle die eine Stimme des Ewigen. Insofern hatte Bossuet so unrecht nicht, wenn er die kritischen Untersuchungen des Richard Simon als Angriff auf den wahren Glauben wertete. Simon erwiderte ihm, er sei kein Theologe, sondern Philologe, wofür er das Wort ‹Kritiker› gebrauchte. Aber die eine und ewige Wahrheit des Glaubens als zeitbedingt, als spannungsreich und eventuell widersprüchlich zu betrachten, das hieß zugleich: methodisch festen Boden zu schaffen und aus der Haltung frommen Hinnehmens herauszutreten. Es gibt auch heute Versuche, die alte Ewigkeitsperspektive neben die historisch-kritische Analyse zu setzen. Die sog. kanonische Exegese ist, historisch gesehen, ein Unding. Sie soll die historisch-kritische Betrachtung ‹ergänzen›, ‹ausweiten› oder ‹überwinden›. Aber das heißt nur, daß man deren Logik nicht verstanden hat. Unerleuchtete Kirchendiener wollen sie eingemeinden und dadurch unschädlich machen. Der Haupteinwand gegen diese theologische Majorisierung: Jede beanspruchte biblisch-göttliche Gesamtdeutung war bisher nichts als ein historisch plazierbarer Anspruch eines Individuums oder einer zur Dominanz strebenden Gruppe. Sie wählte einen historischen Zustand als den richtigen und erklärte ihre Gesamtauslegung des Christlichen als die Ansicht Gottes oder als die wahre Zusammenfassung des Wesentlichen der Bibel.
Der Ewigkeitsanspruch kann die Zeitperspektive nicht löschen. Dagegen hilft auch nicht der Hinweis, jeder Satz der menschlichen Sprache sei vieldeutig, sei reich an Assoziationen, habe einen poetischen Mehrwert, und der ewigkeitsbezogene tiefere Sinn lasse sich in jedem biblischen Satz aus der Gesamtperspektive vertiefend aufdecken. Die Mehrdeutigkeit der Vokabeln ist unstrittig, aber daß sie aus der Einheitsansicht der göttlichen Wahrheit ‹ergänzt› oder ‹ausgeweitet› oder ‹vertieft› werden könnte, das ist nur ein unbeholfener Angriff auf die historisch-kritische Untersuchung, die jeden einzelnen
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