Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
sichtbaren Welt waren sie nicht mehr zu finden, also fand man sie in der Innenwelt. Die Verlegenheitslösungen konnten sich rühmen, weniger stofflich, vielmehr feiner und geistiger zu sein als die alten Derbheiten. Genauer besehen, belegen die Rettungsversuche den Einschnitt und den Verlust. Hier sind – in arg verkürzter Form – einige dieser neuen Glaubensbegründungen:
Erstens: Gefühl
Unter dem Eindruck Kants sagten romantische Protestanten, nur das Gefühl verschaffe Glaubenssicherheit. Es schenke persönliche Verbindung zu Jesus, zu Gott. Es bedürfe keiner Vermittlung des Glaubens durch äußere Daten.
Der alt-apologetische Weg der Scholastiker und vieler deistischer Aufklärer setzte voraus, die objektive Welt werde von uns übersubjektiv und zweifelsfrei erfaßt; sein philosophisches Hintergrundsystem war objektivistisch-realistisch. Wer sich auf das Gefühl als Glaubensgrund berief, gab – moderner – demgegenüber dem religiösen Subjekt sein Recht zurück. Es macht davon bis heute Gebrauch.
Der Nachteil dieses Portals zum Glauben: Nicht jeder hat dieses Gefühl. Es war direkt und persönlich und paßte mehr zum frommen Inhalt als die kalte, fast kriminalistische Erkenntnis der Glaubwürdigkeit der Evangelien und der Kirche, aber es blieb aufs Individuum beschränkt. Fichte, Schelling und Hegel haben es als zu subjektiv kritisiert. Das 20. Jahrhundert drängte zu neuer Sachlichkeit und Gemeinschaftserfahrung; die Katholiken wollten jetzt der mystische Körper Christi sein; das Gefühl als Glaubenszugang überzeugte immer weniger. Schon seine Definition bot Schwierigkeiten: Meinte es soviel wie Intuition? Emotion? Oder Leidenschaft? Stimmung? Schleiermacher verstand es als ‹unmittelbares Selbstbewußtsein›; er dachte Frömmigkeit als Gefühl der ‹schlechthinnigen Abhängigkeit›. Worauf Hegel knurrend erwiderte, so etwas habe auch ein Hund.
Manche behaupteten, es gebe ein spezifisch religiöses Gefühl, ein Erschauern vor dem Numinosen, eine überwältigende Erregung. Das klang anti-intellektuell und lebensnah; es berief sich – übrigens historisch zu Unrecht – auf Pascals cœur .
Auch die älteren praeambula -Theologen und die deistischen Freidenker kannten die Gefühle; sie meinten nur, diese folgten der ersten Zustimmung zur Glaubwürdigkeit der Offenbarung. Zuerst komme die grundlegende Prüfung, ob der Intellekt zustimmen könne und gar dazu verpflichtet sei.
Gegen die Religionsbegründung aus dem Gefühl läßt sich einwenden, es sei zu unbestimmt. Sagt dem Gefühlvollen das Gefühl, ob er sein Gefühl Jesus oder Sokrates oder Buddha oder allen zugleich zuwenden soll? Er braucht Inhalte, nicht bloßes Ergriffensein. Außerdem verleugne die Gefühlsbegründung die heutige Situation des Weltanschauungspluralismus. Vielleicht funktionierte sie in geschlossenen Glaubensgemeinschaften oder in esoterischen Gruppen. Heute laufe sie darauf hinaus, es gebe keine Gründe mehr für den Glauben.
Christen der Gegenwart argumentieren daher auch: Ich glaube fest an Gott und seine Offenbarung; das Hin und Her eurer Argumente geht mich nichts an. Ich gehorche Gottes Anruf; ich mache meinen Glaubensgehorsam und meine Sicherheit nicht von wechselnden philosophischen Moden oder unsicheren historischen Beweisen abhängig. Ich will glauben, und ich glaube, daß ich glaube. Mein Glaube gehört einer anderen Ordnung an als die übrigen Überzeugungen. Ich glaube unbedingt; das heißt: ich mache meine Zustimmung von nichts abhängig. Philosophen und Gelehrte sagen alle 30 Jahre etwas anderes, aber unser Glaube steht unwandelbar fest. Die Kirche lebt in größeren Zeitdimensionen als eine Privatperson.
Wer diese Diskussionsverweigerung einfach lebt, ohne sie als Begründung vorzutragen, bleibt unangreifbar. Ihn kann man nur stehenlassen und weitergehen. Begründet er aber damit seine Diskussionsunlust, dann begeht er einen dreifachen Fehler:
Erstens: Ihm kann nicht entgangen sein, daß andere Menschen seine Glaubensfestigkeit nicht teilen. Macht er sich über diese Mitmenschen keine Gedanken? Glaubt er, er könne mit ihnen nicht über seinen Glauben sprechen, weil sie in der Hand Satans sind, von ihm verblendet und gegen die Wahrheit verstockt? Dann bräche er jeden Dialog ab. Er zöge sich aus der Argumentationsgemeinschaft zurück. Sein Glaubensstandpunkt wäre autistisch, er ergäbe Christentum ohne Nächstenliebe. Mindestens an seinem Anfang wollten die Apostel andere Menschen mit
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