Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
charakterisieren das streng-historische Vorgehen, indem sie es verwerfen; sie zeigen, wozu die historisch-kritische Forschung und wozu die römische Wahrheitsverwaltung fähig ist. Das Dekret des Heiligen Offiziums vom 3. Juli 1907 gebot den Katholiken, die Bibel sei von Gott direkt inspiriert und daher bis in die letzten Einzelheiten von jedem Irrtum frei. Die fünf Bücher Moses, befahl die Bibelkommission am 26. Juni 1906, stammten von Moses. Die Weissagungen des Jesaia seien echte Voraussagen, dekretierte sie am 28. Juni 1908. Das Evangelium nach Matthäus habe der Apostel Matthäus geschrieben, so am 19. Juni 1911. Ich nenne die Daten der Dekrete, damit der Leser diese merkwürdigen Dokumente leicht finden und nachlesen kann. Der Evangelist Markus sei der Schüler des Petrus gewesen, Lukas der Begleiter des Paulus (26. Juni 1911); Matthäus sei das älteste der Evangelien (26. Juni 1911); die Apostelgeschichte habe den Evangelisten Lukas zum Autor (12. Juni 1913). Alle Briefe, die Paulus zugeschrieben werden, stammten von Paulus (12. Juni 1913), auch der Brief an die Hebräer (24. Juni 1914). Die Berichte des Johannesevangeliums seien historisch; eine Lehrentwicklung habe es nicht gegeben (Dekret des Heiligen Offiziums Lamentabili vom 3. Juli 1907).
Mit diesem Block anti-historischer Behauptungen fiel die Kommission um zwei Jahrhunderte hinter Richard Simon zurück. Hätte dieses intellektuell vergreiste Lehramt nicht die Arbeit christlicher Gelehrter um Jahrhunderte zurückgeworfen und das Leben einiger von ihnen zerstört, wären seine Ukasse nur amüsant. Sie waren ein einziger Affront gegen die historisch-kritische Forschung. Die päpstliche Wahrheitsverwaltung lehnte insgesamt die Art der Textforschung ab, die in der protestantischen Exegese seit etwa 1850 unzweifelhafte Erfolge zeigte. Sie hielt argumentlos auch gegen katholische Gelehrte wie Alfred Loisy die alten Überzeugungen fest, die mit Gründen seit 200 Jahren in Zweifel gezogen waren. Heute beschwört sie kaum noch ein katholischer Exeget. Wo die historisch-kritische Lesart Differenzen und Entwicklungen entdeckte, sah die Papstkirche legendäre Einheitsblöcke. Ihre Verbote waren kein vereinzelter bürotechnischer Fehlgriff; ihr ständig wiederholter Immobilismus hatte Methode; er war die Anti-Methode zur historisch-kritischen. Er war auf die Dauer nicht zu halten: Die Bibelkommission hat 1964 mit ihrer Instruktion über die historische Wahrheit der Evangelien die historisch-kritische Exegese in ‹ihren Grenzen› anerkannt, aber wo deren Grenze liegen, bestimmt die Kirche. Nun hat sie zwar Grenzen, aber die ermittelt sie selbst durch fortlaufende Erörterungen der historischen Methode.
Ein symptomatischer Fall beleuchte den Unterschied zwischen der augustinisch-äternistischen Bibelauslegung und der historischen. Bekanntlich hat der Apostel Judas, wie Matthäus 27,9 berichtet, den Erlöser zum Preis von 30 Silberlingen verraten. Matthäus sah darin eine Weissagung erfüllt, wie so oft, und zitiert dafür den Propheten Jeremia: «Sie nahmen die dreißig Silberlinge» ( Matth . 27,9). Nun findet sich dieser Spruch mit den 30 Silberlingen nicht im Text des Jeremia, wohl aber beim Propheten Zacharias, 11,12–13. Der Evangelist, würden wir folgern, habe die beiden Namen verwechselt. Augustin sah den Fehler, dachte aber folgendermaßen weiter: Niemand solle deswegen den Evangelisten der Unzuverlässigkeit bezichtigen. Zwar nennten einige Handschriften an dieser Stelle den Namen des Jeremias. Das lege nahe, es handle sich um einen Schreibfehler. Wer diese Verteidigung vorziehe, könne sie gebrauchen, ihm, Augustin gefalle sie nicht. Denn viele, gerade ältere und vor allem griechische Handschriften hätten den Namen ‹Jeremia›. Einige Schreiber hätten diesen Namen getilgt, weil sich das Zitat bei Jeremia nicht finde. Er, Augustin, aber denke, vielleicht habe Matthäus sich in beiden Namen vertan, aber auch das sei nicht ohne providentielle Führung geschehen. Andere fromme Zeitgenossen hätten den Evangelisten gewiß korrigiert, wäre seine Erinnerung nicht, vom Heiligen Geist geleitet, zu der Einsicht gekommen, daß alle Propheten, da vom Heiligen Geist inspiriert, miteinander harmonieren, inter se consensione constare . Daher sage Jeremias dasselbe wie Zacharaias. Es gehe schließlich um die Autorität des Heiligen Geistes, nicht um die einzelner Propheten. Der Geist Gottes habe, um die Identität der Aussagen des Jeremias und
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