Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
an Himmelskörpern, durch die Bekehrung vieler Menschen, nicht nur einfacher Leute, sondern auch der Gelehrten, und zwar ohne Gewalt und ohne daß es – wie der Islam – sinnliche Genüsse verspreche. Für die Wahrheit des Christentums spreche auch, daß alle diese Wunder alte Prophezeiungen erfüllten.
Thomas von Aquino sprach wie Augustin davon, Gottes Weisheit habe das Christentum mit sichtbaren Zeichen ausgestattet, damit die Menschen seine Glaubwürdigkeit an äußeren Ereignissen erkennen. Gottes providentielle Veranstaltung schließe aus, daß jemand den christlichen Glauben leichtfertig annehmen müsse. Seine Vorausplanung war erfolgreich; die ganze Welt sei nun christlich. Wunder geschähen zwar weiterhin, seien aber jetzt nicht mehr nötig. Das größte Wunder sei die Ausbreitung des Christentums bis an die Grenzen der Erde.
Mit solchen Begründungen gab sich die evangelische Christenheit bis etwa 1800, die katholische bis etwa 1960 zufrieden. Im 19. Jahrhundert feierten römische Theologen ihre Kirche als sichtbares Zeichen auf dem Berg, als Garanten der Heiligkeit und Sittlichkeit. Sie priesen ihre Einigkeit und Kontinuität. Sie betonten, diese äußeren Zeichen der Glaubwürdigkeit seien nicht etwa nur wahrscheinlich, sondern völlig gewiß. Wen sie nicht überzeugten, der sei seiner Verblendung und Sündhaftigkeit überführt. Katholiken, die sie bestritten, lüden schwere Schuld auf sich. Es handle sich um Zeichen in der sichtbaren Welt; die göttliche Vorsehung habe sie zum Zweck der Bezeugung des Glaubens ersonnen, daher könne niemand sich schuldlos herausreden. Die Bestätigung durch äußere Daten sei evident. Sie anzunehmen sei für alle vernünftigen Wesen verbindliche Pflicht. Freilich bewirke allein Gottes Gnade den Glauben. Doch beweise die äußere Bestätigung der Glaubenszeugnisse mit absoluter Gewißheit ihre Glaub würdigkeit. Sie rufe zwar nicht den Glaubensakt hervor, sie sei aber, da materiell, von allen leicht einsehbar, frei von jedem Zweifel und daher für jeden verpflichtend.
Das waren um 1870 verlorene Verteidigungstöne. Längst konnte jeder sehen, daß nicht einmal der ‹sicherste Beweis›, die Ausbreitung bis an die Grenzen der Erde, auf Tatsachen beruhte. Die historischen Beweise hatte die historisch-kritische Forschung zerstört. Und wer die Verhältnisse im Kirchenstaat vor 1870 kannte, sah zwar immer noch den kulturellen Reichtum des Landes, nicht aber die erhabene Moralität dieser Kirche.
Die Entstehung der Neuzeit ist ein komplexer Vorgang mit vielen Ursachen. Um 1800 war jedenfalls die einfache Sicherheit geschwunden, die der Glaubensbegründung sowohl bei Augustin wie bei Thomas zugrunde lag, glaubten sie doch, sie könnten einem Ereignis in der sichtbaren Welt ansehen, daß allein Gott es bewirkt haben könne. Gottesbeweise waren in Verruf gekommen. Seitdem schwimmt der Oberherr der Welt, wie Heinrich Heine schrieb, unbewiesen in seinem Blut. Die Zeit drängte, den Glauben entweder aufzugeben oder neue Gründe seiner Glaubwürdigkeit zu erfinden.
Vor Kant hatten viele Religionsphilosophen ihre Aufgabe darin gesehen, den christlichen Glauben, den sie in ihrer Kultur als allgemein akzeptiert vorfanden, in ihre philosophische Sprache zu übersetzen. Fichte, Hegel und der späte Schelling machten dazu die letzten Anläufe. Sie wollten den Glauben, von dem sie ihre Gesellschaft noch weitgehend geprägt sahen, als vernünftig erweisen. Aber spätestens mit dem Beginn der Industrialisierung gab es im Volk keine einheitliche Glaubenswelt mehr. Wer über Religion nachdachte, sah Vielfalt, Widerspruch, Diskussion und Skepsis. Seitdem stand das Christentum in der Kritik; das Nachdenken darüber konnte nicht die alte Form behalten, in begrifflicher Klarheit zu sagen, was das tiefe Gemüt des frommen Volks anschaulich glaubte. Dieses fromme Volk gab es bei uns nicht mehr. Die Gegensätzlichkeit der vorhandenen Ansichten ist selbst den Frömmsten geläufig. Die Einschnitte ins Fleisch der Christenheit seit 1700 blieben ihnen nicht verborgen. Daher produzierten sie neue Argumente. Ich skizziere einige von ihnen. Sie machen deutlich, daß die alte Sicherheit verloren ist.
Die Erkenntnis göttlicher Beglaubigung in der sichtbaren Welt – vom Ersten Vatikanischen Konzil noch ‹evident› genannt – war dahin. Die Christenheit bestand weiterhin, der Glaube war als Trost und Orientierung noch gefragt, aber die klassischen Brücken zu ihm waren demoliert. In der
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