Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchester
Vom Netzwerk:
genannten Beispiel hieße das für die Praxis, dass Sie nichts weiter unternehmen würden – gesetzt den Fall, Sie sind nicht wirklich die XY-GmbH, denn dann wären Sie wahrscheinlich gesetzlich verpflichtet, ein Konkursverfahren einzuleiten. Siewürden die Sache einfach ignorieren und so weitermachen wie bisher, in der Hoffnung, dass Sie die Rechnungen bezahlen können, wenn sie fällig werden, und schonirgendwie durchhalten, bis sich der Immobilienmarkt wieder erholt hat. In diesem Moment tun Hunderttausende in getausendGroßbritannien – und Millionen weltweit – genau das. Aktuell wird geschätzt, dass bei ungefähr 900 000 Menschen in Großbritannien der Eigenkapitalwert negativ ist.
    Ein Unternehmen kann jedoch keinen negativen Eigenkapitalwert haben, denn sobald das zutrifft, ist es insolvent. Dennoch haben Unternehmen die unterschiedlichsten Eigenkapitalanteile, und oft lässt sich an der Höhe dieser Eigenkapitalquote auf einen Blick erkennen, um was für ein Unternehmen es sich handelt. In wirtschaftswissenschaftlichen Seminaren spielt man gern ein Spiel – Pardon – führt man eine Übung durch, bei der unter den Studenten Bilanzaufstellungen verteilt werden und man sie dann auffordert zu raten, um welche Art von Unternehmen es sich handelt. Die folgenden Summen verstehen sich in Millionen Pfund. Also, was ist das für ein Unternehmen?
    Aktiva
Millionen Pfund
Kassenbestand und Guthaben bei den Zentralbanken
17 866
Schatzwechsel
18 229
Darlehen und Vorschüsse
1 048 710
Derivate
337 410
Sonstiges
478 304
Gesamt
1 900 519
    Passiva
Einlagen von Banken
312 663
Kundenkonten
682 365
Sonstiges
814 065
Gesamt
1 809 093
Eigenkapital
91 426
Bilanzsumme
1 900 519
    Unseren Freunden im Wirtschaftsseminar wird es leichtfallen, dieses Rätsel zu lösen. Weil es sich auf der Soll- und der Habenseite um so riesige Summen handelt, aber auch, weil »Kundenkonten«den Hauptposten bei den Passiva bilden, ist sofort zu erkennen, dass dieses Unternehmen eine Bank sein muss. Falls es besonders eifrige Studenten sind, könnten sie vielleicht sogar erraten, um welche Bank es sich handelt. Ein Anhaltspunkt ist die Summe der Aktiva: 1 900 519 000 000 Pfund. Eins Komma Neun Billionen Pfund. Wenn man bedenkt, dass das gewid dass dsamte Bruttoinlandsprodukt Großbritanniens 1,7 Billionen Pfund beträgt, muss es sich hier um eine außergewöhnlich große Bank handeln. Tatsächlich ist es die Royal Bank of Scotland. Die RBS war 2008 hinsichtlich ihrer Aktiva nicht nur eine große Bank und nicht nur eines der größten Unternehmen Europas – sie war, was die Summe ihrer Aktiva betraf, das größte Unternehmen der Welt. Wollte ich mir einen einzigen Punkt aussuchen, um die kulturelle Kluft zwischen der Finanzwelt und dem Rest der Welt zu verdeutlichen, dann würde ich diesen wählen. Mir ist bis heute keine einzige Person außerhalb der Finanzwelt begegnet, die darüber Bescheid gewusst hätte; ich selbst hatte auch keine Ahnung. Doch jetzt wissen wir es alle nur zu gut, denn die britischen Steuerzahler sahen sich gezwungen, der Royal Bank of Scotland mit mehreren zehn Milliarden Pfund aus der Patsche zu helfen. Bis jetzt kann niemand sagen, wie hoch die Kosten schließlich sein werden, aber die Endsumme wird von 100 Milliarden wahrscheinlich gar nicht so weit entfernt liegen und es ist durchaus möglich, dass es noch mehr sein wird.
    Auf den ersten, und tatsächlich auch auf den zweiten Blick wirkt es seltsam, dass die Bilanzaufstellung einer Bank die Einlagen von Kunden unter den Passiva auflistet, aber wenn man darüber nachdenkt, ergibt das durchaus Sinn. Passiva sind nämlich im Grunde genommen nichts anderes als etwas, das jemand anderem gehört – und die Kundeneinlagen gehören den Kunden. Mein Vater, der für eine Bank tätig war, hat das früher oft zu mir gesagt: Vergiss nie, dass du eigentlich der Bank Geld leihst, wenn du etwas auf ein Konto einzahlst. Die Banken selbst vergessen das nämlich auf keinen Fall. Obwohl, das stimmt so nicht. Im täglichen Umgang mit ihren Kundenund Gläubigern – mit uns – vergessen sie es nämlich ständig. Sie verhalten sich ganz so, als gehöre das Geld ihnen und als täten sie uns einen Gefallen, wenn sie uns erlauben, es in ihrer Bank zu deponieren und Zinsen damit zu verdienen. Ein geradezu spektakuläres Beispiel für ein solches Verhalten bei britischen Banken ist die Frage des Scheckabrechnungsverkehrs. Wenn ich Ihnen heute einen Scheck ausstelle und Sie

Weitere Kostenlose Bücher