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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchester
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verlässlich wie möglich zu erscheinen.
    Bei den Geschäftsbüchern der Firma Apple geht es einzig und allein darum, wie viele Computer und Handys und Musiktitel die Firma verkaufen kann, denn davon hängt ihre finanzielle Solidität ab. (Apples i Tunes macht mit dem Verkauf von Musiktiteln in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien einen größeren Umsatz als jede andere Firma in diesem Bereich.) Die Geschäfte der Royal Bank of Scotland hingegen drehen sich um Kredite, denn die finanzielle Solidität dieses Unternehmens hängt vom Wert seiner Kredite ab. Daraus folgt zwangsläufig, dass es in den Geschäftsbüchern der RBS hauptsächlich um Kreditrisiken geht. Die Rentabilität der Kredite hängt von der Wahrscheinlichkeit ab, dass sie auch zurückgezahlt werden. Aus diesem Grund ist die Beschaffenheit der Vermögenswerte – also der Kredite – von allergrößter Bedeutung. Das Eingehen von Risiken spielt nicht nur eine untergeordnete Rolle am Rande, sondern ist das Herzstück des Bankengeschäfts. Das Thema Risiko ist für jede Art von Unternehmen immer ein wichtiger Punkt, aber für Banken ist es nicht nur wichtig, es ist entscheidend: Es isn didend: t das, was ihr Geschäft überhaupt ausmacht. Risikomanagement ist nicht nur ein Teil des Bankgewerbes, es ist das Bankgewerbe.
    Eine der wichtigsten Entscheidungen bei einem Risikobetrifft dessen Größe. In der Praxis ist das gleichbedeutend mit der Frage, um wie viel die Verbindlichkeiten das Eigenkapital übersteigen sollten. Das bezeichnet man als »Leverage« (Hebelwirkung).Sie wird üblicherweise als Multiplikator ausgedrückt, als die Zahl, mit der man das Eigenkapital multiplizieren muss, damit man auf die Summe der Verbindlichkeiten (Passiva) kommt. In deroben genannten privaten Bilanzaufstellung belief sich Ihr Eigenkapital auf 140 000 Euro und Ihre Verbindlichkeiten ebenfalls auf 140 000 Euro. Ihre Leverage Ratio wäre also 1 zu 1 4 . Das ist angenehm und sicher – aber ein himmelweiter Unterschied zu der Leverage Ratio der britischen Banken. Dies ist für Großbritannien zu einem ernsten Problem geworden, denn unsere Banken sind nicht einfach nur groß, sie sind gigantisch: Die vier größten haben jeweils einen Kapitalwert von einer Milliarde Pfund. Und ihre Leverage Ratio ist entsprechend hoch. Als Barclays 2008 auf dem Höhepunkt stand, betrug das Verhältnis von Vermögenswerten zum Eigenkapital dieser Bank 61,3 zu 1. Weil die Vermögenswerte den Verbindlichkeiten plus Eigenkapital entsprechen, bedeutet dies, dass auf Seiten der Passiva eine riesige Summe steht. Stellen Sie sich einen Moment lang vor, wir würden dies auf Ihre eigenen Finanzen übertragen, so dass Sie die Vermögenswerte, die tatsächlich und zweifelsfrei Ihnen gehören, so weit ausdehnen könnten, dass Sie mehr als das 60-Fache dieses Betrags als Kredit aufnehmen könnten. (Ich würde mir eine Insel kaufen. Und Sie?) Während der Jahre der Hochkonjunktur hatte die Leverage Ratio der europäischen Banken – also der Multiplikator, um den ihre Aktiva ihr Eigenkapital überstiegen – einen Punkt erreicht, an dem man das Ganze als finanzielles Bungeejumping hätte bezeichnen können: Selbst wenn Ihnen alle erzählen, es sei eigentlich vollkommen ungefährlich, muss man trotzdem ein Adrenalin-Junkie sein, um es zu riskieren. Hier sind die Leverage Ratios der großen europäischen Banken am 30. Juni 2008, kurz bevor der finanzielleTsunami über die Welt hereinbrach: UBS 46,9 zu 1,ING Group 48,8, HSBC Holding 20,1, Barclays Bank 61,3, Deutsche Bank 52,5, Fortis 33,3, Lloyd’s TSB 34,1, RBS 18,8, Crédit Agricole 40,5, BNP Paribas 36,1 und Crédit Suisse 33,4. 9
    Die Zahlen der US-amerikanischen Banken sind nicht ganz so besorgniserregend, aber schlimm genug. Durchschnittlich haben sie eine Leverage Ratio von 35 zu 1, während sie bei europäischen Banken bei 45 zu 1 liegt. Anders ausgedrückt könnte man auch sagen, dass diese Zahlen den Anteil wiedergeben, um welche die Aktiva einer Bank im Wert verfallen müssen, damit diese insolvent wird. In den USA heißt dies, dass eine Bank dann Pleite geht, wenn im Durchschnitt 1 / 35 ihrer Aktiva im Wert verfallen. In der EU tritt das bereits bei 1 / 45 ein. Das ist ganz unverkennbar eine äußerst prekäre Situation. Aber sie war kein Unfall. Denn es waren genau diese Risiken, die zu dem Bankenboom geführt hatten. Das Bankgeschäft war plötzlich nicht etwa deshalb so unglaublich profitabel, weil man irgendetwas besser gemacht

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