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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchester
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die man verdienen kann, hängt von der Höhe des Risikos ab, das Sie bereit sind einzugehen. Aber Sie haben die Sache gerade so eingefädelt, dass es gar kein Risiko mehr gibt. Wie gesagt, wenn die Schmidts nicht mehr zahlen können, dann zahlen eben die Schneiders. Wenn man einmal darüber nachdenkt, eröffnen sich dadurch ganz ungeahnte Möglichkeiten.
    Übersetzt in den Unternehmensbereich, in die Welt derBonds und Kredite, sieht das ganz ähnlich aus: Die neue Idee lautete, das Risiko des Zahlungsverzugs oder der Zahlungsunfähigkeit (Default) einfach zu tauschen (Swap). Man verkauft das Risiko, dass der Kreditnehmer nicht mehr in der Lage ist zu zahlen. Im Bankwesen hatte diese Idee enormes Potential. Weil das Bankgeschäft auf der Kreditvergabe an Kunden aufbaut, ist das Risiko, dass diese Kunden zahlungsunfähig werden, ein nicht wegzudenkender Aspekt dieser Branche. Ein Produkt, das es erlaubte, dieses Risiko zu reduzieren – indem man es einfach an einen anderen verkaufte –, versprach, einen neuen Markt von ungeheuren Ausmaßen zu erschließen. Das neue Produkt würde einer Art Versicherung ähneln. Der zu versichernde Gegenstand war das Risiko des Zahlungsverzugs oder der Zahlungsunfähigkeit bei einem bestimmten Schuldverhältnis. An dem ersten Geschäftsabschluss dieser Art war der Mineralölkonzern Exxon beteiligt. Man brauchte dort einen neuen Kreditrahmen, um die Schäden der Ölkatastrophe abzudecken, die durch die Havarie der Exxon Valdez im Jahr 1989 entstanden waren und die sich womöglich auf 5 Milliarden Dollar belaufen würden. Die Firma Exxon war schon sehr lange Kunde bei J. P. Morgan, und die Bank wollte sie daher nur ungern abweisen, obwohl der Vertrag sehr viel Kapital binden würde, das die Bank anderswo gewinnträchtiger einsetzen konnte. Bestimmte Regeln schrieben den Banken vor, wie hoch die Kapitalsumme zu sein hatte, die sie zurückhalten mussten, falls es Kreditausfälle gab. Die Basel-Regeln, benannt nach der Stadt in der Schweiz, in der das Regelwerk formuliert wurde, werden auf internationaler Ebene als Vorgabe akzeptiert. Diese Regeln schreiben vor, dass Banken 8 Prozent ihres Eigenkapitals als Reserve zurückhalten müssen, um das Risiko ausstehender Kredite abzudecken. Die Banker fanden das sehr lästig. Es schränkte den Umfang ein, in dem sie Kredite vergeben und Risiken eingehen konnten und somit auch ihren möglichen Profit. Wenn die Bank dem Exxon-Konzern ein Darlehen gewährte, dann musste sie 8 Prozent dieses Betrags als Reserve zurückbehalten. Dieses Geld würde einfach nurnutzlos herumliegen, statt draußen in den Märkten Gewinne einzufahren.
    Bei diesen Überlegungen ging Blythe Masters, einem der Mitglieder des Swap-Teams von Boca Raton, ein Licht auf. Sie hatte die Idee, den Kreditrahmen gegen Gebühr an die European Bank of Reconstruction and Development (Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung) zu verkaufen. Falls Exxon dann das Geld haben wollte, musste die EBRD es herausrücken – und bekam als Gegenleistung von J. P. Morgan eine Vergütung dafür, dass sie das Risiko übernommen hatte. Auf diese Weise erhielt der Exxon-Konzern seinen Kreditrahmen, die Bank J. P. Morgan konnte ihren Verpflichtungen gegenüber einem Kunden nachkommen, ohne gleichzeitig die Kapitalreserven angreifen zu müssen, die sie nun für attraktivere Projekte verwenden konnte, und die EBRD erhielt eine Vergütung. Dieses Geschäft war so neuartig, dass es noch nicht einmal einen Begriff dafür gab. Man entschied sich schließlich für »Credit Default Swap«. Wenn man aber das Risiko eines Ksersiko eiredits verkaufte, dann folgte daraus logischerweise, dass der Kredit nun risikofrei war. In diesem Fall konnte man doch eigentlich getrost das betreffende Kapital – da es ja keinem Risiko unterlag – für einen anderen Kredit benutzen, ohne dabei gegen die Basel-Regeln hinsichtlich der Reservevorschriften zu verstoßen. Kein Schaden, kein Vergehen, kein Risiko, keine Notwendigkeit, nützliches Kapital zurückzuhalten. Nach monatelanger Arbeit und endlosem Gefeilsche um die Regeln wurde der Deal schließlich von den Aufsichtsbehörden genehmigt. Sie schlossen sich letztendlich der Ansicht an, dass der auf diese Weise vollzogene Verkauf eines Risikos zu begrüßen sei, weil das Risiko dann über das Finanzsystem verteilt und nicht an einem einzigen Ort gebündelt wurde.
    So weit so gut, fand J. P. Morgan. Aber die Verhandlungen hatten viel Zeit und Mühe gekostet und die Bank

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