Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
weiß es nicht«, sagte Anthony DePastina zu mir. Er ist Anwalt und arbeitet für die gemeinnützige Organisation Baltimore Civic Justice, die sich für die Opfer der Zwangsenteignungeneinsetzt. 10 »Diese rund 30 000 Hausbesitzer haben ihr Eigentum letztendlich deshalb verloren, weil sie ihren Hypothekenzahlungen nicht mehr nachkommen konnten. Sie haben wenig oder gar kein Geld mehr. Infolge der Zwangsenteignung ist ihre Kreditwürdigkeit ruiniert, weshalb sie oft auch von den Vermietungsunternehmen abgewiesen werden. Am Ende bleibt ihnen nichts anderes übrig, als zu Freunden oder Verwandtenzu ziehen. Oder wenn sie Glück haben, finden sie eine Mietwohnung, vielleicht bei einem privaten Vermieter oder einer Firma, die ihre Kreditwürdigkeit nicht überprüft. Und wenn sie ganz großes Pech haben, landen sie auf der Straße.«
Ich meinte, es sei doch ziemlich deprimierend, dass diese Menschen einfach so in der Versenkung verschwinden.
»Ja«, sagte er. »Niemand weiß, wo sie hingehen. Für diese Fälle gibt es kein Sicherheitsnetz. Das Sozialsystem ist im Moment so überfordert, dass es fast unmöglich ist, eine passende Wohnung zu finden, wenn man das eigene Haus räumen muss. Heute Morgen kam ein Mann zu mir, den man auf die Straße setzen wird, weil er die Hypothekenzahlungen für sein Haus nicht leisten kann. Wir gehen davon aus, dass er innerhalb von 90 Tagen ausziehen muss. Aber er kann nicht auf die Warteliste für Hilfesuchende, weil die Frau von der Bank zu ihm gesagt hat, es könne auch ein Jahr oder sogar anderthalb Jahre dauern, bis man ihn rauswirft. Was soll er also tun? Er kann sich nichts leisten, was mehr als 500 Dollar im Monat kostet, und er muss ganz allein für den Unterhalt zweier Kinder sorgen. Aber es gibt noch Tausende, denen es ganz genauso geht. Ein anderer Klient ist nach einem Arbeitsunfall – den seine Firma jedoch nicht als solchen anerkennen will – für eine Weile arbeitsunfähig gewesen, konnte seine Hypothek nicht mehr bezahlen und verlor sein Hauser or sein. Ich habe persönlich mit drei oder vier Kirchen und mehreren staatlichen Behörden verhandelt, um irgendjemanden zu finden, der ihm helfen kann, aber wir konnten nicht einmal genug Geld auftreiben, um ihm ein Apartment zu besorgen,und sei es noch so behelfsmäßig. Daraufhin hat er drei oder vier Monate in seinem Auto gewohnt. Er hat keine Familienangehörigen und lebt im Augenblick in einem verlassenen Wohnwagen. Er versucht, Geld zu sparen, um sich eine Wohnung zu mieten, aber es braucht seine Zeit, wenn man wieder auf die Füße kommen will, und er wird wohl noch ein oder zwei Monate benötigen. Dabei muss es ja gar nicht mal das Taj Mahal sein, nur eine Einzimmerwohnung. So sieht das aus. Wenn sie Glück haben, kommen sie beiVerwandten unter, oder sie finden einen Gelegenheitsjob und einen Vermieter, der sie bar bezahlen lässt. Aber meistens haben wir keine Ahnung, was mit ihnen geschieht.«
Dahin haben uns also der Traum vom Besitz eines Eigenheims und die Auswirkungen innovativer Finanzinstrumente gebracht. Das ist das andere Ende der Kausalkette, die zu den Bankenpleiten und zur Kreditkrise geführt hat.
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Auf dem Wohnungsmarkt kann man sehr leicht Geld verlieren. Mir persönlich ist das auch schon passiert.
Eine meiner lebhaftesten Erinnerungen an die Immobilienblase der achtziger Jahre ist, wie furchtbar langweilig viele Gespräche dadurch wurden. Wenn man irgendwo zum Abendessen eingeladen war, sprach man oft genug buchstäblich über nichts anderes als darüber, wie wahnsinnig wichtig es sei, in den Immobilienmarkt einzusteigen, oder wie unerbittlich die Preise kletterten. Manchmal ging es auch um so faszinierende Entwicklungen wie ein hippes neues Finanzprodukt, zum Beispiel die sogenannte »Endowment Mortgage«. (Dabei handelte es sich um eine vielgepriesene Hypothekenvariante, bei der der Kreditnehmer nur die Zinsen direkt an das Kreditinstitut zahlte. Die Kreditsumme selbst wurde über eine Investition in ein Anlageprodukt beglichen, dessen Erfolg angeblich garantiert war und dessen Laufzeit genau zu dem Zeitpunkt endete, wenn auch die Hypothek fällig wurde. Diese Produkte lösten einen Risenskandal aus, als sich herausstellte – Überraschung! –, dass sie ein wesentlich langsameres Wachstum hatten als vorhergesagt und deshalb nicht in der Lage waren, die geschuldete Kreditsumme abzudecken.) Mrs Thatcher hatte versprochen, eine Demokratie von Immobilienbesitzern zu schaffen, und sie hat, weiß
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