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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchester
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dass sie so kleinwar. Darüber hinaus war sie sehr seltsam geschnitten. Sie war ziemlich eng – an den meisten Stellen konnte ich die Wände auf beiden Seiten mit den Fingerspitzen berühren, wenn ich meine Arme ausstreckte – und zu den Enden hin wurde sie sogar noch schmaler. Im Erdgeschoss wohnte eine Zeit lang der amerikanische Autor Madison Smartt Bell, den die Wohnung sogar zu einem seiner Romane inspirierte. Das Buch handelt von einem Mann, der verrückt wird, unter anderem deshalb, weil seine Wohnung so überaus seltsam geschnitten ist.
    Meine Wohnung kostete damals 59 000 Pfund. Die Hälfte des Kaufpreises zahlte ich mit dem Geld, das mein Vater mir nach seinem Tod hinterlassen hatte; den Rest finanzierte ich mit einem Kredit von Halifax. Die Zinsen ürfaie Zinsberwies ich an die Bank, aber man gab mir den Rat, die Kreditsumme über das oben schon erwähnte neue Wunder-Finanzprodukt, die Endowment Mortgage zurückzuzahlen. Die Wohnungspreise schossen gerade überall in die Höhe. Was also konnte da schon schiefgehen?
    Ich habe viel erlebt in dieser Wohnung. Eine Weile verstand ich mich sehr gut mit dem Grundstückseigentümer, habe für ihn Briefe an die Schule seines Sohnes geschrieben oder ihm unqualifizierte Ratschläge zu seiner Schlaflosigkeit erteilt. Doch dann haben wir uns gestritten; er hätte mich beinahe verklagt und wir haben drei Jahre lang nicht miteinander gesprochen. Der Mann in der Wohnung unter mir ist so übel mit ihm aneinandergeraten, dass er mit einer Axt den Gaszählerkasten einschlug, vor Gericht zog, um die Nebenkostenabrechnung anzufechten, und, nachdem er den Prozess verloren hatte, seine Wohnung an zwei Prostituierte untervermietete. Sie passten ganz gut in die Gegend, mit der es Anfang der neunziger Jahre, während der zweiten Konjunkturflaute unter einer Tory-Regierung, ziemlich bergab gegangen war und die sich mit Drogenhändlern, Prostituierten und Zuhältern – und was noch schlimmer war, deren Kunden – bevölkert hatte. Ich habe viel gelernt, während ich dort wohnte, über sehr viele Dinge.
    Allerdings gelang es mir nicht, mit dem Wohnungskauf Profit zu machen. Als ich die Wohnung zehn Jahre später wieder verkaufte, bekam ich genau die Summe, die ich selbst dafür bezahlt hatte. Das bedeutete im Endeffekt einen Verlust von ungefähr 35 Prozent. Ich war nicht gerade überrascht, denn in der Zwischenzeit war die Immobilienblase geplatzt und es war schwer, in der Gegend von King’s Cross überhaupt einen Käufer zu finden. Jedes Mal wenn ich mit Maklern sprach, was ich ungefähr alle zwei Jahre tat, fragte man mich in einem wenig vertrauenerweckenden Tonfall, was ich denn für die Wohnung bezahlt hätte, und sagte mir, das sei dann auch ungefähr das, was sie dafür herausschlagen könnten. Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, aber was sie mir eigentlich damit sagen wollten, war, dass ich schön blöd wäre, wenn ich im Augenblick verkaufen würde. Also ließ ich es sein.
    Und das war auch die wichtigste Lektion, die ich aus meinem ersten Wohnbesitz lernte. Die Immobilienpreise gehen rauf und runter, aber das Beste, was man tun kann, ist, ihnen überhaupt keine Beachtung zu schenken, es sei denn, man ist gezwungen umzuziehen. Ich lernte damals, dass die Preise nach einem anfänglichen Anstieg nicht ewig weitersteigen und dass es schwierig wird, seine Wohnung zu verkaufen, wenn sie damit aufgehört haben. Denn der Grund für das Ende eines solchen Preisanstiegs ist immer eine allgemeine Veränderung des wirtschaftlichen Klimas. Das Kapital, das man in Wohneigentum angelegt hat, ist nicht liquide, es ist kein Geld, das man leicht in etwas anderes anlegen kann. Es wäre dumm, sich reicher zu fühlen, nur weil das Wohneigentum im Wert gestiegen ist. Diese Wertsteigerung ist nämlich in den seltensten Fällen gleichbedeutend mit einer Geldsumme, die man tatsächlich ausgeben kann. Wenn man vorhat umzuziehen, braucht man in jedem Fall eine neue Bleibe, deren Preis dann ebenfalls gestiegen ist. Aus der Wertsteigerung einer Immobilie ergibt sich daher nicht unbedingt ein Nettogewinn.
    Ich habe darüber hinaus aber auch gelernt, dass ich zwar kein Geld verdient, aber auch nicht besonders viel verlorenhatte. Das liegt daran, dass jedes Wohneigentum auch eine Art Einkommen erbringt – nämlich das Geld, das man sonst für die Miete ausgegeben hätte. Meine Hypothek kostete mich monatlich viel weniger, als etwaige Mietzahlungen es getan hätten, also tat meine Wohnung mir einen

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