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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchester
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zwischen einer Epidemie und einer Pandemie besteht darin, dass Letztgenannte gleichzeitig überall stattfindet.) Auch das ist eine Form des Schuldenabbaus: wenn man jenen Leuten den Kredit entzieht, die ihn schon von vornherein nicht zurückzahlen konnten. Die Krise erfasste das gesamte Land: Städte im sogenannten »Rust Belt«, dem ältesten Industriegebiet der USA, die bereits seit Jahrzehnten wegen Bevölkerungsrückgangs und der damit einhergehenden Probleme mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten; Gegenden im »Sun Belt« südlich des 37. Breitengrades, wo es im neuen Jahrtausend zu einem starken Bevölkerungszuwachs gekommen war, von dem ein Großteil auf Migranten zurückzuführen ist (die höchste Rate von Zwangsversteigerungen in den USA während der ersten sechs Monate des Jahres 2009 hatte der Bundesstaat Nevada); Vorstädte, die sich immer weiter ausdehnten, weit über die ursprüngliche Vorstadtgrenze hinaus, und schließlich Gebiete, die seit jeher für ihre Boom-Crash-Zyklen bekannt waren, wie etwa Florida.Die Zwangsvollstreckungskrise brachte auch einige recht bizarre Phänomene hervor. So ist zum Beispiel einer der Hauptakteure auf diesem Gebiet die Deutsche Bank. Sie tritt als Treuhänder der Firmen auf, denen die Kredite eigentlich gehören, womit nun die Situation entstanden ist, dass eine Bank mit Sitz in Deutschland 10 Prozent aller Immobilien der Stadt Cleveland in Ohio besitzt. Auch in Baltimore ist die Deutsche Bank einer der wichtigsten Fädenzieher. Doch ist hier die Subprime-Krise kein für sich allein stehendes Ereignis, sondern nur die jüngste Fortsetzung einer schon lange andauernden und offenbar endlosen Serie von Unglücksfällen. Einige davon waren selbstverschuldet, andere dagegen nicht, etwa die eben erwähnte Krise. David Simon und seine Kollegen haben ein Kunstwerk in fünf Teilen mit 60 Folgen geschaffen – eigentlich, könnte man sagen, ist es ein riesiger, ins Fernsehen übertragener Roman, der es, wie viele meinen, in Tragweite und Genialität gut und gern mit Balzac aufnehmen könnte – und dennoch haben sie dabei eine der schlimmsten Katastrophen ausgelassen, die den Einwohnern von Baltimore in den letzten Jahrzehnten zugestoßen ist. Wegen der Kreditkrise haben 33 000 Hauseigentümer in Baltimore ihren Besitz verloren. Eine Welle von Zwangsversteigerungen überrollte die Stadt. Und das an einem Ort, dessen Bevölkerungszahl von ursprünglich etwa einer Million während der letzten Jahrzehnte ohnehin um etwa 300 000 geschrumpft ist und in dem bereits 50 000 Häuser leer standen. Wenn man dort durch die Straßen fährt, kommt man Block um enean BlocBlock an verlassenen Gebäuden vorbei, an zahllosen Häusern mit zugenagelten Fenstern. Manche Blocks bestehen nur noch aus den Außenmauern, andere – und das ist fast der traurigere Anblick – weisen noch ein oder zwei bewohnte Häuser auf, die sich tapfer und trotzig an einen Ort klammern, an dem es sich früher einmal zu wohnen lohnte. Man kann sich kaum des Eindrucks erwehren, die Stadt hätte einen Krieg verloren. Es sah zwar auch schon vor der Kreditkrise nicht viel besser aus, aber Baltimore hatte 33 000 Hausenteignungen wohl ungefähr genauso nötig wieLondon während des Zweiten Weltkriegs die deutsche Luftwaffe.
    Die Menschen, die ihren Besitz verloren haben, sprechen nicht öffentlich darüber, was ihnen zugestoßen ist. Es sind noch zu viele Rechtsstreitigkeiten in der Schwebe, einige davon auch von der Stadt gegen die Kreditgeber, die hinter dieser Krise stehen. Aber man kann sich inoffiziell mit ihnen unterhalten und sich auch einige Häuser anschauen, die sie verloren haben. Dazu zählt zum Beispiel das Haus in der Bonner Road 3803 in West Baltimore, dessen zwangsvollstreckte Hypothek bei der Wells Fargo Bank lief und das nun mit zugenagelten Fenstern dasteht und von Warnschildern umgeben ist. Früher einmal muss das ein Wohnsitz von nicht nur großzügigen, sondern für europäische Verhältnisse geradezu palastartigen Ausmaßen gewesen sein. Ich bin dort ein wenig herumgelaufen, aber meine anfängliche Neugier verwandelte sich sehr schnell in Traurigkeit. Es wirkt einfach vollkommen verkehrt; ein großes Haus, dasfür eine große Familie gebaut wurde und nun leer und verlassen dasteht, immer mehr verwahrlost und die Nachbarschaft mit sich in die Tiefe zieht. Noch trauriger ist, was mit den früheren Bewohnern dieses und der anderen gut 30 000 Gebäude passiert ist. »Um ehrlich zu sein, ich

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