Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
Minsky hat sie als Erster systematisch dargestellt. Der für die Allgemeinheit verständlichste und einer breiten Öffentlichkeit am besten bekannte Text zu diesem Thema ist wahrscheinlich das Buch von Charles P. Kindlebet k P. Kinrger, Manias, Panics and Crashes: A History of Financial Crises (Dt. Manien, Paniken, Crashs. Die Geschichte der Finanzkrisen der Welt ). Solche Manien verlaufen immer nach demselben Grundmuster: Ein reales Ereignis tritt auf (Erkundung überseeischer Gebiete, Eisenbahn, Internet), die Investoren stürzen sich darauf und das Ganze wird vollkommen unverhältnismäßig aufgebauscht. Die Preise klettern immer höher und noch mehr Investoren finden sich ein, die allesamt der »Greater-Fool-Theory« (der »Es-gibt-immer-noch-einen-größeren-Idioten-Theorie«) folgen. Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als ich diesen Ausdruck zum ersten Mal hörte, aus dem Mund eines der intelligentesten Menschen, die ich kenne, während er mir zu erklären versuchte, warum er so viel Geld in Technologieaktien investiert hatte, die ganz unverkennbargrotesk überbewertet waren. Als er mir erzählte, was er getan hatte, sagte ich zu ihm, er müsse wahnsinnig geworden sein, woraufhin er mir die Greater-Fool-Theorie erklärte. Sie besagt, dass man, obwohl jeder weiß, dass das, was da gerade vor sich geht, absolut verrückt ist, mit dem Aktienhandel noch Profit herausschlagen kann, wenn man nur den besagten »noch größeren Idioten« findet, an den man weiterverkaufen kann. Dabei ist vollkommen unerheblich, wie überbewertet die Aktien sind, solange man nur diesen Schafskopf findet, der bereit ist, sie einem abzukaufen, sobald man einen schönen Gewinn eingefahren hat. Das funktioniert so lange, bis es nicht mehr funktioniert. Und nun geschieht wie schon immer in der gesamten Finanzgeschichte Folgendes: Die Blase fängt an zu zittern und zu schwanken, oft genug wegen irgendeiner schlechten Nachricht; die Leute äußern erste Zweifel, dann fällt die Sache plötzlich ganz abrupt in sich zusammen und alle verlieren riesige Geldbeträge. Genau das ist bei der Technologieaktienblase passiert. Sie platzte im März 2000 und der Nasdaq-Index für Technologiewerte stürzte um 80 Prozent in die Tiefe. Der Dotcom-Crash löschte fünf Billionen Dollar an Investorengeldern aus und ging als die größte Kapitalvernichtung aller Zeiten in die Geschichte ein.
Nach einem Börsenkrach zeigen Investoren den Aktien immer eine Weile die kalte Schulter. Das ist keineswegs überraschend. In der Vergangenheit sind bei solchen Crashs fast jedes Mal Betrügereien und rechtswidrige Handlungen ans Licht gekommen, die in der Phase des Kursanstiegs von allen übersehen worden waren. Wenn dann eine Konjunkturflaute kommt, gehen die Einnahmen zurück und die Art von Unternehmen, die es mit der Ehrlichkeit nicht so genau nimmt, gerät plötzlich in Schwierigkeiten. Erst dann hört man endlich auf die Stimmen, die von vornherein vor solchen Leuten wie Charles Ponzi (in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts) oder Ivar Kreuger, dem Streichholzkönig (1931), oder Bernie Ebbers (2003) oder Bernard Madoff (2008) gewarnt haben. Der Absturz der Börsenkurse rollt einen Stein beiseite, und zum Vorscheinkommen ein paar üble Finanztierchen, die sich darunter versteckt haben. Nach dem Dotcom-Crash um die Jahrtausendwende kam unter einem solchen Stein eine Kreatur hervorgekrabbelt, die einen so spektakulären, systematischen, überaus schändlichen und zum Himmel stinkenden Betrug zu verantworten hatte, dass man die Sache schon fast wieder bewundern muss. Ich spreche vom Enron-Konzern.
Um genau zu verstehen, welch verheerende Auswirkungen der Enron-Skandal hatte, muss man sich zunächst vor Augen führen, wie groß die Bewunderung war,die das Unternehmen den Leuten während seiner glorreichsten Zeiten einflößte. Die Zeitschrift Fortune vergibt eine Auszeichnung für das innovativste Unternehmen der USA und Enron erhielt diesen Preis zwischen 1995 und 2000 in jedem einzelnen Jahr. Die Einnahmen des Konzerns beliefen sich auf die spektakuläre Summe von 101 Milliarden Dollar. Man investierte dort in alle nur erdenklichen Bereiche: Papier, Breitplapier, bandnetze, Erdgas – und natürlich auch in das eigentliche Kerngeschäft des Unternehmens, die Elektrizität. Mit all diesen Produkten trieb man einen regen Derivatehandel. 12 Und viele der dabei erzielten Profite wurden mit der Buchführungsmethode »mark to market« erfasst, die
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