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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchester
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sich der Konzern enthusiastisch angeeignet hatte. Dabei interpretierte man diese Methode jedoch nach eigenem Gusto. So verzeichnete man zum Beispiel unter den laufenden Gewinnen auch solche Einkünfte, die eigentlich erst irgendwann in der Zukunft fällig wurden. Ein langfristiger Kontraktzum Ankauf von Gas über einen Zeitraum von mehreren Jahren konnte auf diese Weise einfach in der Gegenwart als aktueller Gewinn verbucht werden. 17 Zusätzlich schuf Enron mithilfe seiner Bilanzaufstellung auch ein umfassendes Spektrum von Fremdfirmen und verkaufte an diese Firmen Vermögenswerte zu künstlich überteuerten Preisen. All diese Tricks führten dazu, dass der Aktienkurs der Firma munter in die Höhe schoss. Als während einer Telefonkonferenz ein Analytiker Bedenken hinsichtlich der Bilanzaufstellung äußerte, sagte der Vorstandsvorsitzende des Konzerns, Jeffrey Skilling: »Ja, vielen herzlichen Dank auch, wir wissen das sehr zu schätzen … Arschloch.« (Das Gespräch war aufgezeichnet worden und wird nun in den Listen legendärer Wutausbrüche von Firmenchefs unter den Top Ten geführt.) Doch das Arschloch hatte recht: Enrons Buchführung war so kriminell, dass der Aktienkurs, als die ganzen Betrügereien ans Licht kamen, von 90Dollar auf Null stürzte, der Vorstandsvorsitzende Jeffrey Skilling für 25 Jahre hinter Gitter ging, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen (eine der weltweit fünf größten Firmen auf diesem Gebiet) zur Betriebsaufgabe gezwungen wurde, zahlreiche Angestellte ihre gesamten Ersparnisse verloren und viele Investoren dem Aktienmarkt den Rücken kehrten. Denn wenn sich ein von allen derart bewundertes, ausgiebig analysiertes, als Blue-Chip-Investition eingestuftes Unternehmen wie Enron plötzlich als wertlos herausstellte, welchen Geschäftsbüchern konnte man dann noch Vertrauen schenken? 13 Der Wirtschaftswissenschaftler Robert Shiller verschickt regelmäßig Fragebögen an Investoren. Nach dem Enron-Betrug bekam er 2001 von ihnen in sehr klaren Worten mitgeteilt, dass die Buchführungsskandale eine wesentliche Rolle bei ihrem Rückzug vom Börsenparkett gespielt hatten.
    Der Dotcom-Crash und die Enron-Pleite führten in denersten Jahren dieses Jahrhunderts dazu, dass Investoren, die immer auf der Suche nach den neuesten und coolsten Ideen waren, sich vom Aktienmarkt abwandten.
    Auch am traditionellen Anleihenmarkt war in dieser Zeit für sie nicht viel zu holen. Der Grund dafür war ganz einfach: Die Zinssätze befanden sich im historischen Vergleich auf einem ungewöhnlich niedrigen Stand. Das lag unter anderem daran, dass Alan Greenspan, der unter der Clinton-Administration für die US-amerikanische Geldmarktpolitik verantwortlich war, eine Zeit des Wirtschaftswachstums eingeleitet hatte. Damals schaffte es die amerikanische Wirtschaft, jenes höchst wünschenswerte, geradezu märchenhafte Ziel zu erreichen, weder zu heiß noch zu kalt zu laufen und immer weiterzuwachsen, ohne dass dies zu einer Inflation führte. (Ökonomen nennen diesen Zeitraum des regulären, nicht-inflationären, ohne Boom und Crash auskommenden Wachstums manchmal »The Great Moderation«, die große Mäßigung. Den Ausdruck hat Greenspans Nachfolger Ben Bernanke geprägt.) Nach dem Dotcom-Crash befürchtete man, der Börsenkrach könnte sich auch auf die übrige Wirtschaft ausdehnen und sie zum Stillstand bringen. Deshalb senkte Greenspan die Zinsen. Leser, die nicht in Amerika leben, dthrika lemögen sich fragen, was das eigentlich mit ihnen zu tun hat. Darauf gibt es zwei Antworten. Erstens ist die US-amerikanische Wirtschaft die größte der Welt und daher in hohem Maße für die Produktionsleistung und wirtschaftliche Entwicklung der restlichen Welt verantwortlich. Zum Zweiten ist der US-Dollar die wichtigste weltweit gültige Reservewährung, also die Währung, in der die meisten übrigen Staaten ihre Geldrücklagen horten. Und schließlich ist der Dollar auch die Währung, in der die Preise für einige weltweit vertriebene Handelswaren festgelegt werden, wie zum Beispiel Öl und Kaffee (Nummer eins und zwei auf der Liste der weltweit meistgehandelten Waren). Der Zinssatz des Dollars gilt zwar nicht für den gesamten Planeten, aber in vielerlei Hinsicht sind wir gar nicht so weit davon entfernt. Im Mai 2000 betrug der von der US-Notenbank ausgegebeneLeitzins 6,5 Prozent. Greenspan senkte ihn kontinuierlich weiter. Dann kam der 11. September und eine Zeit lang hatte es den Anschein, als geriete

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