Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
Regeln in jeder nur erdenklichen Weise zu umgehen und so flexibel wie möglich auszulegen, gerät immer in Gefahr, von Betrügern ausgenutzt zu werden. Ab 1998 stiegen die Immobilienpreise und ein Hauskauf stellte plötzlich eine wesentlich größere finanzielle Herausforderung dar. Als dann von 2001 an die Kredite drastisch günstiger wurden, erschien diese Herausforderung wiederum sehr viel verlockender (zumal die Immobilienpreise weiter nach oben stiegen und ein Hauskauf somit wie ein sicherer Gewinn erschien, bei dem eigentlich nichts schiefgehen konnte). Dann wurde neues Kapital auf den Markt geschwemmt, Kapital, das sich wegen der Securitization keinen Deut darum scherte, wie riskant die Kredite waren. Vergessen wir nicht, dass es im Jahr 2000 in den Vereinigten Staaten bereits 250 000 Hypothekenmakler gab. Diese Makler hatten die Funktion, den direkten Kontakt mit potentiellen Kreditnehmern zu suchen und zwischen ihnen und den Subprime-Kreditgebern zu vermitteln. Die Branche unterlag ezahe untezwar theoretisch gewissen Regeln, aber im Endeffekt tat dort jeder, was er wollte. In Maryland, wo ich mir die Auswirkungen der Zwangsvollstreckungen angesehen habe, brauchte man als Makler keinerleiLizenz oder Qualifizierung. Die Firmen, für die diese Leute arbeiteten, mussten zwar eine Lizenz haben, aber die einzelnen Mitarbeiter brauchten keine Vorkenntnisse nachzuweisen. In ganz Amerika gab es Hunderttausende Makler und Millionen neue Hypotheken, und alle waren damit beschäftigt, die ohnehin schon sehr flexiblen Regeln bis zum Äußersten zu dehnen. Es war das reinste Chaos. Die ganze Idee, man könne einen Kredit aufgrund eines mündlich angegebenen Einkommens vergeben (»stated income loans«), wobei der Kreditnehmer einfach sagt, wie viel er verdient, ohne dass es irgendjemand nachprüft, ist eine unverhohlene Einladung zum Betrug. Heute bezeichnet man diese Art von Krediten als »liar loans« – Lügnerkredite. Es dauerte nicht lange, bis daraus der sogenannte »ninja loan« wurde (Ninja für »no income, no job or assets« – kein Einkommen, kein Job, keine Vermögenswerte). Warum sollte eine einigermaßen zurechnungsfähige Person irgendjemandem Geld leihen, der weder ein Einkommen noch einen Job oder irgendwelche Vermögenswerte hatte? Antwort: Weil der Kredit an einen anderen weiterverkauft wurde und weil es deshalb vollkommen egal war, ob er zurückgezahlt werden konnte oder nicht.
Bitner stieg 2005 aus dem Geschäft aus, als ihm während der Bearbeitung eines Hypothekenantrags plötzlich klar wurde, was da eigentlich gerade vor sich ging. Ein Kundenpaar namens Cutter war zu ihm gekommen, das 2005 ein Haus gekauft hatte, dann aber schon sehr bald nicht mehr mit den Zahlungen nachkam, als Mrs Cutter krank wurde. Sie verlor ihren Job und hatte keine Krankenversicherung, was auf grausame Weise doppeltes Pech war, denn just als ihr Einkommen versiegte, stiegen ihre Kosten ins Unermessliche. Bitner spielte sämtliche Möglichkeiten durch, die ihnen blieben, und riet ihnen dann, sich damit abzufinden, dass sie den Kredit unmöglich zurückzahlen konnten und deshalb ihr Haus aufgeben mussten. Sie befolgten seinen Rat und die Bank nahm ihr Haus wieder in Besitz. Aber der Groschen fiel bei Bitner erst, als er anschließend noch einmal ihre Akte durchging. Die Cutters hatten einen Kredit über90 000 Dollar aufgenommen, und das bei einem gemeinsamen Monatseinkommen von 2800 Dollar. Nachdem sie ihre Anzahlung von 4500 Dollar geleistet hatten, blieben ihnen gerade noch 250 Dollar auf der Bank – das war alles, was sie an Vermögenswerten noch besaßen. Nach Abzug der monatlichen Tilgungszahlungen für die Hypothek blieben ihnen noch genau 700 Dollar im Monat für ihre übrigen Ausgaben. Ihr Kreditrating war miserabel gewesen und das Gleiche galt für ihre Kreditgeschichte. Es gab nirgends Anzeichen dafür, dass sie jemals an irgendjemanden Miete gezahlt hatten. Während der letzten drei Jahre war keiner von beiden länger als neun Monate am Stück in einem Beschäftigungsverhältnis gewesen. Und jetzt kommt der Clou: All das war überhaupt kein Problem . Oder wie Bitner es in seinem Buch ausdrückt: »Wir haben nichts falsch gemacht.« Die Cutters erfüllten alle Kriterien, die für diese Art von Hypothek erforderlich waren. Alles lief nach Vorschrift – nach der Subprime-Vorschrift. Das war es, was Bitner die Augen öffnete und warum er beschloss, es sei nun an der Zeit, aus der Sache auszusteigen.
Das einzig
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