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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchester
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Organe: des »Office of Thrift Supervision« (Sparkassenaufsicht), der staatlichen Bankenaufsicht, des »Office of the Comptroller of the Currency« (Währungsaufsichtsbehörde), der »Federal Reserve« (US-Notenbank), der »Federal Deposit Insurance Corporation« (Staatliche Gesellschaft zur Einlagenversicherung), der »National Credit Union Administration« (Behörde dernationalen Kreditgenossenschaften) und (falls die Bank am TARP teilnimmt – dem »Troubled AssetsRelief Program«) des US-Finanzministeriums. Wenn man dann noch die anderen intermediären Finanzinstitute miteinbezieht und die Definition von Banken etwas weiter fasst, dann kommen weitere Regulierungsbehörden ins Spiel, die bei der Kontrolle der Finanzinstitute ebenfalls ein Wörtchen mitzureden haben, wie etwa die staatlichen Versicherungsaufsichtsbehörden, die »Commodity Futures Trading Commission« (Aufsichtsbehörde für den Warenterminhandel), die »Financial Industry Regulatory Authority« (Regulierungsbehörde der Finanzindustrie), die »state securities regulators« (Wertpapierregulierungsbehörde – jeder einzelne Bundesstaat hat eine solche), die Generalstaats CGensecanwälte (die sich manchmal in die Finanzmärkte einmischen, was den Märkten selbst natürlich gar nicht schmeckt) und dann selbstverständlich noch der Big Daddy der Finanzmärkte, die SEC – »US Securities and Exchange Commission« –, oder auf Deutsch die Börsenaufsichtsbehörde. 44 Und dann werden sie natürlich noch von den unterschiedlichsten Organen im Ausland beaufsichtigt, je nach dem, wo sie ihre Geschäfte tätigen. Das Ganze ist eine einzige große Buchstabensuppe und es erinnert mich an eine Bemerkung, die ich einmal von einem Politikwissenschaftler über Italien gehört habe. Er meinte, an diesem Land zeige sich, wie eine Anarchie in der Praxis aussähe: Sie wäre keine Gesellschaft ohne Gesetze, sondern eine mit tausenden Gesetzen, denen aber keiner auch nur die geringste Beachtung schenkt.
    Es ist müßig, sich zu fragen, ob ein derart wirres und kompliziertes System überhaupt nur ansatzweise funktionieren kann. (Das am 16. Juni 2009 von Präsident Obama angekündigte Vorhaben, in der Finanzmarkt-Regulierung aufzuräumen, gibt zwar dem Finanzministerium größere Machtbefugnisse, aber es unternimmt nichts gegen den ganzen regulatorischen Wirrwarr. Diese Entscheidung spiegelt die politischen Realitäten wider, aber auf lange Sicht mag sie nicht unbedingt die klügste gewesen sein.) Auch wenn das Regelgerüst das Beste der Welt wäre, bliebe immer noch die Frage des Regimes, das die Regeln durchsetzen soll – und das war während der letztenJahrzehnte ein erhebliches Problem. In Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs wird unweigerlich alles sehr lasch gehandhabt. Das ist eine psychologische Tatsache. Wenn man dann noch die ideologische Überzeugung hinzufügt, dass die Märkte selbst es schon am besten wissen und dass die Regierung verpflichtet ist, sich so weit wie möglich herauszuhalten, ergibt sich daraus ein ganz bestimmtes Verhalten der Aufsichtsinstanzen: Man drückt zwar nicht unbedingt immer beide Augen zu, aber Abläufe, die nicht ganz regulär erscheinen, werden oft mit einem Schulterzucken und der Bemerkung »Na ja, so sind sie halt, die Jungs« abgetan.
    Manchmal ging das auch so weit, dass man einfach neue Regeln aufstellte, die den Banken besser in den Kram passten. In einer Besprechung am 24. April 2004 45 einigte man sich bei der SEC darauf, es den fünf großen Banken zu erlauben, den Kapitalbetrag zu verringern, den sie als Sicherheit für etwaige Verluste bei Investmentgeschäften in Reserve halten mussten. Die Banken, um die es dabei ging, waren Merrill Lynch, Goldman Sachs, Lehman Brothers, Morgan Stanley und Bear Stearns: Drei dieser Banken existieren heute nicht mehr und die beiden anderen waren (wenn auch nur vorübergehend, wie sich mittlerweile herausgestellt hat) gezwungen, ihren Status als Investmentbanken aufzugeben. Nichts davon wäre passiert , wenn die SEC an jenem Tag nicht die Regeln geändert hätte. Die neuen Regeln ermöglichten es den Banken, ihre Leverage Ratio drastisch anzuheben – die Bear-Stearns-Bank zum Beispiel erhöhte ihre Leverage so weit, dass auf jeden Dollar Eigenkapital 33 Dollar an Schulden kamen.
    Eigentlich war diese Regeländerung als Quidproquo gedacht. Man führte sie deshalb ein, weil die Europäische Kommission gedroht hatte, den amerikanischen Banken, die im Börsengeschäft tätig waren, ihre

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