Warum Liebe Weh Tut
mir das nichts ausgemacht hätte. Es hat mir was ausgemacht. Aber bei mir ist es so, daß ich immer befürchte, den Eindruck zu erwecken, ich würde Druck machen.
INTERVIEWERIN : Was meinen Sie mit Druck machen?
IRENE : Irgendwie verzweifelt wirken. Ultimaten setzen. Sich so zu verhalten, als sei es das Allerwichtigste überhaupt, zu heiraten. Einen Mann unter Druck zu setzen, ist nicht gut für die Beziehung, ist nicht 247 gut fürs eigene Selbstbild. Also habe ich keinen Druck gemacht. Vielleicht war das aber falsch. Vielleicht hätte ich bestimmter sein und mehr von ihm fordern sollen. Ich hätte ohne Eheversprechen nicht meine Zelte abbrechen dürfen. Aber ich war jung und hatte Angst, den Mann zu verschrecken.
INTERVIEWERIN : Warum ist es nicht gut für Ihr Selbstbild?
IRENE : Hmm … Wenn man Druck macht, kommt man als bedürftig rüber. Irgendwie nicht selbständig. Man will nicht bedürftig aussehen. Außerdem heißt es ja, daß der Mann Reißaus nimmt, wenn man Druck macht. Weil man bedürftig ist.
INTERVIEWERIN : Also zu einem Mann zu sagen, daß man eine ernsthafte, verbindliche Beziehung will, ist bedürftig?
IRENE : Absolut. Ich würde es lieben, frei heraus zu sagen, »ich liebe dich«, »ich möchte mein Leben mit dir zusammen verbringen«, aber wenn ich das täte, würde ich mich als die unterlegene Seite fühlen. Man möchte cool bleiben.
INTERVIEWERIN : Können Sie sagen, warum?
IRENE : Ich weiß nicht, warum. Ich glaube, Männer – nicht alle, aber viele – sind einfach nicht scharf auf Ehe und Verbindlichkeit. Sie haben das Gefühl, über alle Zeit der Welt zu verfügen, um sich zu entscheiden. Und wenn man sie zu sehr will, dann machen sie den Abgang, das ist einfach eins dieser Dinge, von dem alle Mädels, die ich kenne, überzeugt sind. Man muß langsam an die Sache herangehen, clever, und darf sich nicht aufdrängen.
Aufgrund vieler ihrer Elemente ist diese Geschichte typisch für ein bestimmtes Muster in den Beziehungen zwischen Männern und Frauen: Die Frau wird hier von dem Mann beeinflußt, das heißt überzeugt , die Beziehung einzugehen; was sie davon überzeugt, die Beziehung einzugehen, ist kein Geheimnis: Es ist der Umstand, daß diese zu enormer Anerkennung verhilft, was darauf hindeutet, daß Anerkennung der Liebe vorausgehen und sie hervorbringen kann. Dieses Muster ist besonders einschlägig für Frauen, die ihren Wert mit geringerer Wahrscheinlichkeit als Männer über öffentliche Kanäle bestätigt bekommen können; ihr Selbstwertgefühl ist daher besonders mit der romantischen Anerkennung verbunden. Auch wenn diese Frau keinen 248 klaren Wunsch formulierte, wurde die Tatsache, daß sie alles »aufgab«, von ihrem Freund (vermutlich zu Recht) als Wunsch interpretiert, sich mit Haut und Haaren an ihn zu binden. Und schließlich impliziert die Tatsache, daß sie sich nicht dazu durchringen konnte, ausdrücklich auch von ihm einen Akt der Verbindlichkeit einzufordern, daß die Autonomie über das Bedürfnis nach Anerkennung triumphiert.
Man vergleiche dies mit der Situation eines jungen Mädchens der englischen Mittelklasse oder oberen Mittelklasse im 19. Jahrhundert, das einen Partner fand, indem es offiziell »in die Gesellschaft eingeführt« wurde. Das heißt, es wurde ein Ball für sie ausgerichtet, was einer öffentlichen Erklärung ihrer Heiratsfähigkeit und ihres Wunsches, potentielle Lebenspartner kennenzulernen, gleichkam. In dieser kulturellen und gesellschaftlichen Ordnung ist die Erklärung der Verbindlichkeit intrinsisch in die Struktur des Kennenlernens eingebettet: Eine Frau (oder ein Mann) muß die Absicht, sich zu binden, nicht verbergen oder im Zaum halten, weil dies eben die Definition und raison d’être des »Eingeführtwerdens« der Debütantin ist. Eine solche Offenheit – der Ausschau nach einem künftigen Gatten – war für das Selbstbild oder die Autonomie der Frau nicht bedrohlich. Wieviel Koketterie auch immer in den tatsächlichen romantischen Interaktionen steckte, ihre Funktion bestand nicht darin, die Absicht, sich zu binden und zu heiraten, einzuklammern, in der Schwebe zu lassen, hinauszuzögern oder zu verbergen. Vielmehr setzte »mangelnde Ernsthaftigkeit« das Ansehen von Männern und Frauen auf dem Heiratsmarkt aufs Spiel und gereichte ihnen emotional zum Nachteil. Moderne romantische Beziehungen hingegen sind in merkwürdigen Paradoxien gefangen, weil sowohl Männer als auch Frauen so tun müssen, als ob
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