Warum Liebe Weh Tut
kulturellen Kategorie, die wir als die Kategorie der »Beziehung« bezeichnen können. Die Beziehung hat einen eigenen kulturellen Status erlangt, von dem der Person abgelöst. Wie es eine von mir befragte geschiedene Frau ausdrückte: »Gegen die Person meines Exmanns ist gar nichts zu sagen, wirklich, ich kann heute noch in ihm sehen, was ich anfangs in ihm sah, er ist ein prima Typ, nur hat unsere Beziehung nie funktioniert. Es ist uns nie gelungen, eine wirklich tiefe Verbindung hinzubekommen.« Ein psychologisches Selbst hat feststehende Eigenschaften und bringt seinerseits eine Beziehung hervor, ein kognitives Konstrukt, das der greifbare Ausdruck einer psychologischen Größe sein soll. Als kulturelle Kategorie werden Beziehungen zu einem neuen reflektierten Gegenstand der Beobachtung und Bewertung. Eine »Beziehung« ist eine Größe, die sich von Personen unterscheidet (obwohl beides natürlich eng zusammenhängt), und sie wird zum einen danach beurteilt, wie problemlos sie funktioniert – gemessen an Skripten von Beziehungen –, und zum anderen nach hedonistischen Prinzipien – gemessen daran, wieviel Genuß und Wohlbefinden sie bereitet. Was einige Soziologen als »Gefühlsarbeit« bezeichnet haben (ein vor allem weibliches Privileg) beruht auf einer »emotionalen Ontologie«, einer Einschätzung dessen, was Beziehungen sind, die von Skripten und Modellen gesunder und befriedigender Gefühle und Beziehungen ausgeht. Ge 407 fühlsarbeit ist die reflexive Überwachung einer Beziehung, die sich praktisch in Gesprächen, Klagen, Bitten, dem Anmelden von Bedürfnissen und dem Verständnis der Bedürfnisse des anderen niederschlägt. Die emotionale Ontologie enthält einen unausgesprochenen Vergleich mit medial vermittelten Idealen und Geschichten, der über den soziopsychologischen Prozeß eines stillschweigenden Vergleichs mit anderen läuft. Entscheidender noch: Solche emotionalen Ontologien sind Hilfsmittel, um Beziehungen zu überwachen und damit zu vergleichen, wie sie sein sollten oder könnten.
Um die letzten Überlegungen zusammenzufassen: Das alltägliche Leben ist nicht so strukturiert, daß es die Aktivität einer stilisierten Form von Bewußtsein ermöglichen würde, mit dessen Hilfe Gefühlsintensitäten und idealisierte Bilder des anderen intakt gehalten werden könnten. Kulturelle Ontologien – des Selbst, der Gefühle und der Beziehungen – verringern zudem die Wahrscheinlichkeit, daß die alltäglichen Interaktionen einem normalen Interaktionsfluß folgen, weil sie unentwegt unterschwellig mit den vorhandenen Modellen ihrer Idealform verglichen werden.
Die Einbildungskraft und das Internet
Wenn es eine Geschichte der Einbildungskraft des bürgerlichen Subjekts gibt, dann muß die Erfindung des Internets eine entscheidende Phase in dieser Geschichte einläuten. Zweifellos steht das World Wide Web für eine der gravierendsten Veränderungen des Stils romantischer Vorstellungswelten. Ich möchte zwischen mindestens zwei Formen vorgreifender Einbildungskraft unterscheiden, die von der modernen Kultur hervorgebracht wurden. Die eine Form der Antizipation beruht auf der Synthese einer Vielzahl von Bildern, Geschichten und Waren, etwa wenn wir im Geist 408 den Erwerb eines Luxusprodukts, einen Urlaub oder eine Liebesgeschichte vorwegnehmen. Diese Vorwegnahme kann diffus oder kognitiv hochgradig strukturiert sein, sei es nun durch Konsumartikel, das Heraufbeschwören von Vorstellungsbildern oder durch Erzählungen – etwa, wenn wir uns nach einer Liebesgeschichte sehnen, die einem bestimmten Muster folgt, oder uns gestochen scharfe Szenen vor Augen stehen wie der romantische Kuß oder das romantische Abendessen. Die zweite Form vorwegnehmender Vorstellungskraft wird durch den Versuch hervorgerufen, mit technischen Hilfsmitteln ein tatsächliches Erlebnis virtuell herbeizuführen und zu imitieren. Diese Vorstellung ist eine Vorwegnahme deshalb, weil sie eine tatsächliche Begegnung zu imitieren versucht; diese Rubrik umfaßt Onlinespiele und Internet-Kontaktbörsen, die echte sexuelle/romantische Begegnungen herbeiführen und nachahmen.
Nach einer 2010 durchgeführten Erhebung von BBC World Service, bei der fast 11 000 Internetnutzer in 19 Ländern befragt wurden, [50] suchen 30 Prozent aller Nutzer zu irgendeinem Zeitpunkt einen Freund oder eine Freundin im Internet; in manchen Ländern, wie Pakistan und Indien, liegt der Anteil bei 60 Prozent. In einem ihrer studentischen
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