Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Warum Liebe Weh Tut

Warum Liebe Weh Tut

Titel: Warum Liebe Weh Tut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Illouz
Vom Netzwerk:
sinnlichen und körperlichen Affekte auch in dessen Abwesenheit habhaft zu werden. Diese Form von imaginärer Projektion wird durch eine höchst rudimentäre und intuitive Kenntnis einer anderen Person in Gang gesetzt. Das Internet hingegen ermöglicht eine vorgreifende Form von Einbildung, bei der man sich ein bestimmtes Objekt vorstellt, dessen physische Präsenz es erst noch zu erleben gilt. Die eben beschriebene rückblickende Imagination beruht auf einer dünnen Informationsgrundlage, während die internetgestützte vorausschauende Imagination auf einer dichten Informationsgrundlage beruht.
    Die traditionelle romantische Vorstellungskraft wurzelte im Körper, sie faßte vergangene Erfahrungen zusammen und vermengte und kombinierte das gegenwärtige Objekt mit Bildern und Erlebnissen aus der Vergangenheit. Sie konzentrierte sich dabei auf einige wenige »bezeichnende« Details am anderen, die visueller wie sprachlicher Natur sein konnten. Folglich bestand eine solche Vorstellung darin, eigene Bilder und Interaktionen aus der Vergangenheit mit einer realen Person zu vermengen. Als zugleich geistiger und emotionaler Prozeß hat diese Form der Einbildung mit dem Begehren gemeinsam, daß es nicht sehr viele Informationen braucht, um sie auszulösen. Ebenfalls wie das Begehren wird sie sogar eher durch ganz wenige als durch einen Berg von Informationen ausgelöst. Wie die Psychoanalytikerin Ethel Spector Person schreibt: »Oft ist es ein scheinbar ganz unbedeutendes Detail, an dem sich die romantischen Phantasien entzünden: die Art, wie jemand sich eine 412 Zigarette anzündet, das Haar zurückwirft oder am Telefon redet    […].«  [55] Mit anderen Worten: Körperbewegungen, Gesten, der Tonfall der Stimme bewirken es, daß romantische Phantasien und Gefühle ausgelöst werden. Für Freud rührte die Fähigkeit, von nebensächlichen und scheinbar irrationalen Details ergriffen zu werden, von dem Umstand her, daß wir in der Liebe ein verlorenes Objekt lieben. Wahrscheinlich ist dies die Folge tiefverwurzelter elterlicher Schemata sowie der kulturellen Vertrautheit mit bestimmten Körperhaltungen und Verhaltensformen, die uns ins Bewußtsein eingeprägt werden: »Die enorme Macht der geliebten Person über den Liebenden läßt sich zu einem guten Teil damit erklären, daß sie mit dem Nimbus aller verlorenen früheren Objekte ausgestattet wurde.«  [56] In der kulturellen Konstellation, in der Freud arbeitete, waren Liebe und Phantasie durch ihre Fähigkeit, vergangene und gegenwärtige Erlebnisse in konkreten, körperlichen Interaktionen zu verbinden, eng miteinander verknüpft. Bei Einschätzungen, die auf Attraktivität beruhen, werden oft intuitive Urteile, die auf dem gesammelten Erfahrungsschatz beruhen, reaktiviert. »Intuition bezeichnet die Fähigkeit, Urteile über Merkmale des Stimulus zu treffen oder über die Zufallsrate hinaus zwischen verschiedenen Stimuluskategorien zu unterscheiden, ohne daß man die Grundlage der Urteile verbal beschreiben könnte.  […]  [A]us der Binnenperspektive scheinen intuitive Urteile spontan und ohne Vermittlung durch bewußte Folgerungen zustande zu kommen.«  [57]
    Intuition ist eine Form des Urteilens, die unbewußtes 413 Wissen aufruft, das heißt ein Wissen, dessen Struktur und Eigenschaften dem Bewußtsein nicht unmittelbar zugänglich sind. Daß manche Formen von Einbildung »informationsdünn« sind, ist vielleicht der Grund, warum sie leicht dazu führen können, jemanden überzubewerten, das heißt, ihm einen Mehrwert zuzuschreiben – oder, wie wir gewöhnlich sagen, ihn zu »idealisieren«. Diese Idealisierung funktioniert besser, wenn sie sich auf wenige statt auf viele Elemente der anderen Person stützt.  [58]
    Die vorgreifende Einbildung, wie sie durch das Internet vermittelt wird, ist hingegen informationsgeladen. Das Internet läßt sich als das Gegenteil einer informationsdünnen Einbildung bezeichnen, weil es ein Wissen über den anderen ermöglicht, ja erfordert, das nicht ganzheitlich ist, sondern auf einzelnen Merkmalen beruht. Der systematische Vergleich von Menschen und Merkmalen, den das Netz ermöglicht, neigt dazu, den Prozeß der Idealisierung zu schwächen. Die Interneteinbildung ist vorausblickend, bezieht sich also auf jemanden, dem man noch nicht begegnet ist; sie gründet nicht im Körper, sondern in sprachlichem Austausch und textueller Information; die Beurteilung des anderen stützt sich auf eine Ansammlung von Merkmalen,

Weitere Kostenlose Bücher