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Warum Mathematik glücklich macht: 151 verblüffende Geschichten (German Edition)

Warum Mathematik glücklich macht: 151 verblüffende Geschichten (German Edition)

Titel: Warum Mathematik glücklich macht: 151 verblüffende Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Hesse
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Widerspruch (Reductio ad absurdum!) nehmen wir versuchsweise an, es sei tatsächlich möglich, die letzte Reihe des Spielbretts mit einem Stein zu erreichen. Dann muss die Spielsituation unmittelbar vor dem letzten Spielzug und seiner Erfolgsmeldung etwa so ausgesehen haben, wie in Abbildung 22 dargestellt, mit einem Stein auf der vorletzten und einem Stein auf der drittletzten Reihe sowie eventuell noch anderen Steinen irgendwo auf dem Brett.

    Abbildung 22: Rückwärtsarbeiten aus einer Endstellung
    Das programmatische Stichwort lautet: Perspektive ändern, sich im Rückwärtsgang auf eine Antwort zubewegen.
    Doch die Erwartung, dass die Analyse auf diese Weise zum Ziel führt, ist eine Fehlerwartung. Beim Rückwärtsarbeiten wird die wuchtige Vielzahl der zu beachtenden Fälle genauso schnell unübersichtlich wie beim Vorwärtsarbeiten, so dass auch diese Bemühungen rasch an ihre Grenzen stoßen und zum Scheitern verurteilt sind. Die Erwartbarkeit von Widerstand und das Ausloten von Gegenmaßnahmen geben der Mathematik ihre kämpferische Note. Wir stehen mit unseren bisherigen Ansätzen vor einem recht unsortierten Haufen von Ideen, die alle scheitern, sozusagen einem Ideen-Scheiterhaufen. Alle unsere Handlungen waren bisher nur Auflockerungen unserer eklatanten Handlungsunfähigkeit.
    —Dieser Gedankenstrich hier kann gar nicht lang genug sein. Wir müssen offenbar ganz anders denken. Ein Neuanfang mit einer neuartigen Idee ist nötig. Als Nächstes versuchen wir einen Unmöglichkeitsbeweis. Unsere Gedankenlinie ist so angelegt, dass wir den Brettreihen in raffinierter Weise Zahlen zuordnen. Nummeriert man die Reihen von 1 (Grundreihe) bis 8 (gegenüberliegende Reihe), so hat jeder legale Zug die folgende Wirkung: Ein Stein von Reihe m überspringt einen Stein auf Reihe m + 1, entfernt diesen und begibt sich selbst auf Reihe m + 2. Im Saldo verlassen 2 Steine auf den aufeinanderfolgenden Reihen m, m + 1 das Brett und werden durch einen Stein auf der Reihe m + 2 ersetzt: Aus dieser Einsicht heraus bietet sich die Möglichkeit, eine konstant bleibende Größe zu finden; einen Zahlenwert, der einer Position zugeordnet ist und der sich nicht ändert, wenn in ihr ein legaler Zug ausgeführt wird. So beginnt unsere neue adrenalintreibende Idee. Und so geht sie weiter:
    Einmal angenommen, wir weisen jedem schwarzen Feld des Brettes – dies sind ja die Felder, auf denen die Steine stehen können – eine natürliche Zahl zu und einem Stein auf einem schwarzen Feld ebenfalls die zugehörige Zahl des Feldes. Um diesen Sachverhalt begrifflich zu erfassen und um ein prägnantes Konzept zur Verfügung zu haben, nennen wir diesen Zahlenwert einfach die Energie des Steines bzw. des Feldes. Um diesen Einfall zu einem handlungsfähigen Konzept aufzurüsten, muss eine Zahl in der (m + 2)-ten Reihe sich als Summe der beiden Zahlen in der m-ten und der (m + 1)-ten Reihe ergeben. Es kommt ja nicht darauf an, wo auf einer Reihe ein Stein genau steht, bevor er zieht – stets landet er 2 Reihen weiter oben. Deshalb müssen die Energiewerte, die wir den Feldern einer Reihe zuordnen, identisch sein, und die Energiewerte der verschiedenen Reihen müssen so gestaffelt sein, dass der Energiewert der Felder der (m + 2)-ten Reihe, sagen wir E m+2 , sich ergibt als Summe des Energiewertes E m der m-ten Reihe und des Energiewertes E m+1 der (m + 1)-ten Reihe. Und dies gilt immer für je drei aufeinanderfolgende Reihen. Sagen wir noch dies: Die Gesamtenergie einer Position ist die Summe der Energien aller sie bildenden Steine.
    Dies ist jetzt der Moment, da Theorie in Magie übergeht, und es gibt nun eine feste Wahrheit: Aufgrund unseres Kunstgriffs im Design ändert ein legaler Zug die Gesamtenergie der Steine auf dem Brett nicht. Damit hat sich eine Bedingung eingestellt, ohne die nichts mehr geht. Eine feine Finesse, die schon hier eine Ahnung von ihrer Durchschlagskraft gibt. Erst mal notieren wir: Die Gesamtenergie ist eine unveränderliche Größe oder Invariante. Berechne ich die Gesamtenergie aller Steine einer Stellung, führe dann einen legalen Zug aus und berechne die Gesamtenergie aller Steine der neuen Stellung, so sind die beiden Energiewerte gleich. Außerdem sind die Energiewerte aller Felder schon dann festgelegt, wenn wir nur die ersten beiden Reihen mit Energiewerten E 1 und E 2 bestücken. Diese können wir nach Belieben vorgeben. Der Energiebegriff scheint in unserer aktuellen Problemlandschaft vielversprechend zu sein.

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