Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
verboten. Die Repressionen erreichten 2005 ihren Höhepunkt, als rund 750 (oder mehr) Demonstranten in Andischan von der Polizei und der Armee ermordet wurden.
Durch seine Befehlsgewalt über die Sicherheitskräfte und durch seine totale Kontrolle über die Medien war es Karimow möglich, seine Präsidentschaft per Volksabstimmung zuerst um fünf Jahre zu verlängern, und im Jahr 2000 wurde er dann mit 91,2 Prozent der Stimmen für eine neue siebenjährige Amtszeit wiedergewählt. Sein einziger Gegenkandidat erklärte, auch er habe für Karimow gestimmt! Bei der Wiederwahl von 2007, die erneut als betrügerisch eingestuft wurde, erhielt er 88 Prozent der Stimmen.
Die Wahlen in Usbekistan ähneln denen, die Josef Stalin in seiner Glanzzeit veranstalten ließ. 1937 berichtete Harold Denny, der Korrespondent der New York Times , über die sowjetische Wahl. Unter anderem zitierte er einen Artikel aus der kommunistischen Parteizeitung Prawda , in dem die Spannung und Aufregung des Ereignisses übermittelt werden sollten:
Es hat Mitternacht geschlagen. Der zwölfte Dezember, der Tag der ersten allgemeinen, gleichen und direkten Wahlen zum Obersten Sowjet, ist beendet. Das Ergebnis der Abstimmung wird gleich bekanntgegeben.
Der Wahlausschuss bleibt allein in seinem Zimmer. Es ist still, und die Lampen leuchten feierlich. Unter aufmerksamer und intensiver Erwartung vollführt der Vorsitzende die nötigen Formalitäten, bevor er die Stimmen zählt. Er prüft anhand einer Liste, wie viele Wähler verzeichnet waren und wie viele ihre Stimme abgegeben haben. Und das Ergebnis: 100 Prozent. 100 Prozent! Bei welcher Wahl in welchem Land für welchen Kandidaten sind jemals 100 Prozent der Stimmen abgegeben worden?
Nun zur Hauptsache. Aufgeregt überprüft der Vorsitzende die Siegel der Wahlurnen. Dann folgen die Ausschussmitglieder seinem Beispiel. Die Siegel sind intakt und werden abgeschnitten. Man öffnet die Urnen.
Alles schweigt. Aufmerksam und ernst sitzen sie da, diese Wahlinspekteure und -beamten.
Nun wird es Zeit, die Umschläge zu öffnen. Drei Ausschussmitglieder greifen zu Scheren. Der Vorsitzende steht auf. Die Stimmenzähler nehmen ihre Schreibhefte zur Hand. Der erste Umschlag wird aufgeschlitzt. Alle Augen sind auf ihn gerichtet. Der Vorsitzende zieht zwei Zettel heraus – einen weißen [für einen Kandidaten des Unionsowjets] und einen blauen [für einen Kandidaten des Nationalitätensowjets] – und liest laut und deutlich: »Genosse Stalin.«
Sofort ist die Förmlichkeit beendet. Alle im Raum springen auf und applaudieren freudig und stürmisch zur Feier der ersten Stimmabgabe in der ersten allgemeinen, geheimen Wahl nach der stalinschen Verfassung. Und der Name des Schöpfers der Verfassung steht auf den Stimmzetteln.
Diese Atmosphäre dürfte auch bei den Wiederwahlen von Karimow geherrscht haben, der ein begabter Schüler Stalins zu sein scheint, wenn es um Unterdrückung und politische Kontrolle geht, und der ähnlich surreale Wahlen zu organisieren versteht. Unter Karimow ist Usbekistan ein Land mit sehr extraktiven politischen und wirtschaftlichen Institutionen. Und es ist arm. Schätzungsweise ein Drittel der Bevölkerung lebt im Elend, und das Jahresdurchschnittseinkommen liegt bei ungefähr 1000 Dollar.
Immerhin sind nicht alle Entwicklungsindikatoren negativ. Laut Angaben der Weltbank beträgt die Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen, 100 Prozent … Na ja, vielleicht nicht während der Baumwollernte. Die Alphabetisierungsraten sind sehr hoch, wobei das Regime die Medien in der Hand hat und beispielsweise Bücher und das Internet zensiert. Doch während die meisten Usbeken für das Baumwollpflücken nur ein paar Cent pro Tag erhalten, sind die Familie Karimow und andere frühere kommunistische Kader, die sich nach 1989 zu den neuen wirtschaftlichen und politischen Eliten Usbekistans aufschwangen, märchenhaft reich geworden.
Die Wirtschaftsinteressen von Karimows Familie werden von dessen Tochter Gulnora wahrgenommen, die wahrscheinlich seine Nachfolgerin im Präsidentenamt werden wird. In einem so undurchsichtigen und abgeschirmten Land wie Usbekistan weiß niemand genau, welche Besitztümer die Familie Karimow hat und wie viel Geld sie einnimmt, doch die Erfahrung der amerikanischen Firma Interspan ist bezeichnend für das, was sich in den beiden letzten Jahrzehnten in der usbekischen Wirtschaft abspielte.
Baumwolle ist nicht die einzige Nutzpflanze, die in Usbekistan
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