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Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)

Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)

Titel: Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daron Acemoglu , James A. Robinson
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westlich von Newcastle. Es ist auf Karte 11 im äußersten Nordwesten des Römischen Reiches abgebildet. Später wurde Vindolanda in den 1360 Kilometer langen Verteidigungswall einbezogen, den Kaiser Hadrian errichten ließ. Aber im Jahr 103, als ein römischer Zenturio namens Candidus dort stationiert war, handelte es sich noch um eine isolierte Festung. Candidus hatte zusammen mit seinem Freund Octavius die Aufgabe, die römische Garnison mit Nachschub zu versorgen, und er erhielt von Octavius folgende Antwort auf einen früheren Brief:
    Octavius an seinen Bruder Candidus – sei mir gegrüßt.
    Ich habe Dir mehrere Male geschrieben, dass ich ungefähr fünftausend modii Getreideähren gekauft habe, weshalb ich Bargeld benötige. Wenn Du mir nicht etwas Geld schickst, mindestens fünfhundert denarii , werde ich meine Anzahlung verlieren und in Verlegenheit geraten. Ich bitte Dich, schick mir so bald wie möglich ein wenig Geld. Die Felle, die Deiner Nachricht zufolge im Cataractonium sind – ordne an, dass sie und auch der Wagen, den Du erwähnst, mir ausgehändigt werden. Ich hätte sie bereits abgeholt, doch ich wollte vermeiden, dass sich die Tiere auf den schlechten Straßen verletzen. Frag Tertius nach den 8½ denarii, die er von Fatalis erhalten hat. Er hat sie noch nicht auf mein Konto überwiesen. Schick mir unbedingt Bargeld, damit ich Getreide auf dem Dreschboden habe. Grüß Spectatus und Firmus. Alles Gute.
    Die Korrespondenz zwischen Candidus und Octavius macht einige wesentliche Aspekte des wirtschaftlichen Wohlstands im römischen England deutlich. Sie belegt das Vorhandensein einer fortgeschrittenen Geldwirtschaft und damit verbundener Finanzdienstleistungen sowie die Existenz von ausgebauten, wenn auch manchmal stark in Mitleidenschaft gezogenen Straßen. Auch erwähnt sie ein Steuersystem, das dazu dient, den Sold des Candidus zu zahlen. Aber vor allem zeigt sie, dass beide Männer des Lesens und Schreibens mächtig waren und ihnen ein elementares Postwesen zur Verfügung stand. Außerdem profitierte das römische England – vor allem in den Stadtzentren mit ihren Bädern und öffentlichen Gebäuden sowie mit Bauverfahren, für die man Mörtel und Dachziegel verwendete – von der Massenfertigung hochwertiger Keramik, die besonders in Oxfordshire angesiedelt war.
    Im 4. Jahrhundert befand sich all das im Niedergang, und nach 411 zog das Römische Reich die meisten seiner Soldaten aus England ab. Wer zurückblieb, erhielt keinen Sold, und während der römische Staat zerbröckelte, verjagte die örtliche Bevölkerung die letzten römischen Administratoren. Um 450 waren sämtliche Wohlstandsmerkmale verschwunden. Es zirkulierte kein Geld mehr, Stadtgebiete wurden aufgegeben, Gebäude abgetragen, und Unkraut überwucherte die Straßen. Die einzigen noch hergestellten Keramikartikel stammten nicht aus der Massenproduktion, sondern waren Einzelanfertigungen aus kleinen Werkstätten. Die Menschen vergaßen, wie man Mörtel produziert und verwendet, und der Alphabetismus ging erheblich zurück. Die Dächer bestanden nicht mehr aus Ziegeln, sondern aus Zweigen, und niemand schrieb mehr aus Vindolanda.
    Nach 411 n.Chr. erlebte England den Zusammenbruch seiner Gesamtwirtschaft und wurde zu einer armen Provinz – und das nicht zum ersten Mal. Wie im vorigen Kapitel geschildert, begann die Neolithische Revolution um 9500 v.Chr. im Nahen Osten. Während die Bewohner von Jericho und Abu Hureyra in kleinen Ortschaften lebten und Ackerbau betrieben, schlugen sich die Menschen in England noch als Jäger und Sammler durch, was mindestens weitere 5500 Jahre lang der Fall sein sollte. Und auch dann entwickelten die Engländer nicht selbst Verfahren für Ackerbau und Viehzucht, sondern übernahmen sie von Einwanderern, die seit Tausenden von Jahren aus dem Nahen Osten nach Europa vordrangen. Während man sich in England mit den Grundlagen der Landwirtschaft vertraut machte, wurden im Nahen Osten Städte aufgebaut, die Schrift entwickelt und verfeinert und die Töpferei erfunden. Gegen 3500 v.Chr. bildeten sich große Städte wie Uruk und Ur in Mesopotamien, dem heutigen Irak, heraus. Uruk hatte Schätzungen zufolge im Jahr 3500 eine Bevölkerung von 14000 und kurz darauf eine von 40000 Menschen. Die Töpferscheibe wurde in Mesopotamien ungefähr zur selben Zeit erfunden wie der Gütertransport auf Radfahrzeugen. Kurz darauf entstand die bedeutende ägyptische Hauptstadt Memphis. Die Schrift entwickelte

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