Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
Anschein nach vorantrieb, bis die Regierung beschloss, die technische Evolution zu stoppen – eine nur zu häufige Entscheidung, die aus der Furcht vor schöpferischer Zerstörung hervorgeht.
Der große römische Schriftsteller Plinius der Ältere erzählt folgende Geschichte: Ein Künstler erfand unzerbrechliches Glas und suchte den Kaiser auf, weil er sich eine große Belohnung von ihm erhoffte. Er führte seine Erfindung vor, und Tiberius erkundigte sich, ob er anderen das Geheimnis anvertraut habe. Als der Mann verneinte, ließ Tiberius ihn fortschleppen und enthaupten, »damit Gold nicht auf den Wert von Schlamm reduziert wird«. Diese Geschichte enthält zwei interessante Informationen: Erstens ging der Mann zu Tiberius, um eine Belohnung zu erhalten, statt ein Unternehmen zu eröffnen und durch den Verkauf des Glases ein Vermögen zu verdienen. Daran wird deutlich, in welchem Maße die römische Regierung alle Neuerungen kontrollierte. Zweitens schreckte Tiberius nicht davor zurück, mit dem Erfinder auch die Erfindung zu vernichten, weil sie möglicherweise negative Folgen für das herrschende Wirtschaftssystem in Form einer schöpferischen Zerstörung gehabt hätte.
Es gibt aus der Zeit des Römischen Reiches direkte Belege für die Angst vor den politischen Konsequenzen der schöpferischen Zerstörung. Sueton erzählt, wie Kaiser Vespasian (69–79 n.Chr.) von einem Mann angesprochen wurde, der ein Gerät erfunden hatte, mit dem sich Säulen relativ billig zum Kapitol, der Zitadelle Roms, transportieren ließen. Bis dahin wurden Tausende von Arbeitskräften für die Beförderung der schweren Säulen aus den Bergwerken benötigt, was der Regierung hohe Kosten verursachte. Vespasian ließ den Mann nicht töten, doch er weigerte sich, die Innovation zu benutzen. Seine Begründung lautete: »Wie soll ich dann die Bevölkerung ernähren?«
Wieder trat ein Erfinder an die Regierung heran, was vielleicht verständlicher war als im Fall des unzerbrechlichen Glases, da die römische Regierung direkt mit der Herstellung und dem Transport der Säulen zu tun hatte. Wiederum wurde die Neuerung aus Furcht vor schöpferischer Zerstörung abgelehnt. Vespasian war darauf bedacht, die Menschen bei Laune und unter Kontrolle zu halten, um eine politisch destabilisierende Situation zu vermeiden. Die römischen Plebejer mussten beschäftigt werden und gefügig sein, weshalb es nützlich war, sie Säulen transportieren zu lassen. Dies kam zu dem Brot und den Spielen hinzu, mit denen die Bevölkerung ebenfalls zufriedengestellt werden sollte. Beide Beispiele fallen interessanterweise in die Zeit kurz nach dem Ende der Republik und zeigen, dass die römischen Kaiser viel mehr Macht hatten, den Wandel zu blockieren, als die republikanischen Politiker.
Ein weiterer wichtiger Grund für das Fehlen von technischen Neuerungen war die Verbreitung der Sklaverei. Während die römischen Territorien ausgedehnt wurden, unterwarf man zahlreiche Menschen der Sklaverei und brachte sie nach Italien, wo sie auf den großen Gütern arbeiten mussten. Viele Bürger Roms dagegen lebten von den Almosen der Regierung. Woher sollten die Innovationen kommen? Wir haben ausgeführt, dass sie von Personen herrühren, die neue Ideen für alte Probleme entwickeln. In Rom dagegen lag die Produktion in den Händen der Sklaven und später zusätzlich in denen der halb versklavten coloni . Beide hatten wenig Veranlassung, sich Innovationen einfallen zu lassen, da nicht sie, sondern ihre Herren von jeglicher Neuerung profitiert hätten.
Wie wir in diesem Buch immer wieder aufzeigen, entstehen in Wirtschaftssystemen, die auf Zwangsarbeit wie der Sklaverei und der Leibeigenschaft beruhen, keine Innovationen. Das gilt für die antike Welt genauso wie für die heutige Zeit. Zum Beispiel waren es in den USA die Nord- und nicht die Südstaaten, die an der Industriellen Revolution teilnahmen. Zwar wurden durch die Sklaverei und die Leibeigenschaft gewaltige Vermögen für die Besitzer der Sklaven und Leibeigenen geschaffen, aber sie brachten keine technischen Innovationen und keinen Wohlstand für die Gesellschaft hervor.
Niemand schreibt aus Vindolanda
Im Jahr 43 hatte der römische Kaiser Claudius England, nicht jedoch Schottland erobert. Einen letzten fruchtlosen Versuch machte der römische Statthalter Agricola, indem er eine Reihe von Festungen zum Schutz der nördlichen Grenze Englands bauen ließ. Eine der größten lag in Vindolanda, rund 55 Kilometer
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