Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
entwickeln und ihre eigenen Wege einschlagen. In Amerika beispielsweise, das um 15000 v.Chr. durch das Abschmelzen des Eises zwischen Alaska und Russland von Europa abgeschnitten worden war, kam es zu ähnlichen institutionellen Neuerungen wie bei den Natufiern. Diese führten zu einem sesshaften Leben, zu Hierarchien und Ungleichheit – kurz, zu extraktiven Institutionen. Sie bildeten sich zuerst in Mexiko, im andischen Peru und in Bolivien heraus und leiteten mit dem Anbau von Mais zur amerikanischen Neolithischen Revolution über. In den dortigen Gegenden entstanden frühe Formen extraktiven Wachstums, wie am Beispiel der Maya-Stadtstaaten beschrieben. Aber ebenso wenig, wie sich die großen Durchbrüche zu inklusiven Institutionen und industriellem Wachstum in Europa dort ereigneten, wo die Römer den größten Einfluss hatten, entwickelten sich die inklusiven Institutionen in Amerika in den Gebieten der frühen Zivilisationen. Im Gegenteil, die dicht besiedelten Länder jener Zivilisationen wirkten, wie im ersten Kapitel dargestellt, auf geradezu widersinnige Art mit dem europäischen Kolonialismus zusammen und erzeugten eine »Schicksalswende«, so dass die relativ wohlhabenden Gegenden auf dem Doppelkontinent relativ arm wurden. Heute sind die Vereinigten Staaten und Kanada, die damals weit hinter den komplexen Zivilisationen Mexikos, Perus und Boliviens zurücklagen, viel reicher als die übrigen amerikanischen Länder.
Konsequenzen des frühen Wachstums
Der lange Zeitraum zwischen der Neolithischen Revolution, die im Jahr 9500 v.Chr. begann, und der britischen Industriellen Revolution des späten 18. Jahrhunderts ist voll von Schüben wirtschaftlichen Wachstums. Sie wurden durch institutionelle Neuerungen ausgelöst, die letztlich scheiterten. Im alten Rom zerbröckelten die Institutionen der Republik, die eine gewisse wirtschaftliche Vitalität geschaffen und die Entstehung eines riesigen Reiches ermöglicht hatten, nach dem Staatsstreich Julius Caesars und dem Ausbau des Reiches unter Augustus. Es dauerte Jahrhunderte, bis das Römische Reich endlich unterging, aber nachdem die relativ inklusiven republikanischen Institutionen von den extraktiveren des Reiches abgelöst worden waren, schien der wirtschaftliche Verfall unvermeidlich.
Die venezianische Dynamik hatte ähnliche Züge. Der wirtschaftliche Wohlstand Venedigs entstand unter Institutionen mit wichtigen inklusiven Komponenten. Diese fielen jedoch der herrschenden Elite zum Opfer, die das System für Neuankömmlinge unzugänglich machte und sogar die für den Reichtum der Republik verantwortlichen Wirtschaftsinstitutionen abschaffte.
Wie beachtlich die Geschichte Roms auch gewesen sein mochte – es war nicht das römische Vermächtnis, das direkt zum Aufstieg inklusiver Institutionen in England und zur britischen Industriellen Revolution führte. Historische Faktoren wirken sich auf die Entfaltung von Institutionen aus, aber das ist kein einfacher, vorherbestimmter, kumulativer Vorgang. Rom und Venedig zeigen, dass sich frühe Schritte zur Inklusivität umkehren können. Die wirtschaftlichen und institutionellen Verhältnisse, die Rom in ganz Europa und im Nahen Osten schuf, sorgten nicht für einen automatischen Übergang zu den stärker verwurzelten inklusiven Institutionen späterer Jahrhunderte. Diese sollten sich vielmehr zuerst und am nachdrücklichsten in England herausbilden, wo der römische Einfluss am schwächsten war und im 5. Jahrhundert fast spurlos versiegte. Entscheidend für die institutionelle Entwicklung sind, wie wir im vierten Kapitel erläutert haben, die – manchmal geringfügigen – institutionellen Unterschiede, die sich im Lauf der Geschichte herausbilden und in Umbruchphasen wachsen. Gerade weil diese Unterschiede häufig gering sind, können sie ihre Entwicklungsrichtung leicht umkehren und sind nicht notwendig das Ergebnis eines schlichten kumulativen Vorgangs.
Natürlich hatte die römische Herrschaft langfristige Folgen für Europa. Das römische Recht und die römischen Institutionen wirkten sich auf die Königreiche aus, welche die Barbaren nach dem Ende des Weströmischen Reiches errichteten. Durch den Zusammenbruch entstand die dezentralisierte politische Landschaft, aus der die Feudalordnung hervorging. Das Verschwinden der Sklaverei und das Aufkommen unabhängiger Städte waren langwierige (und historisch unberechenbare) Nebenprodukte dieses Prozesses. Sie sollten besonders wichtig werden, als
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