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Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)

Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)

Titel: Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daron Acemoglu , James A. Robinson
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der Schwarze Tod die Feudalgesellschaft zutiefst erschütterte. Aus der Asche des Schwarzen Todes erhoben sich in England stärkere Orte und Städte sowie ein Bauerntum, das sich nicht mehr in seiner Bewegungsfreiheit einschränken ließ und sich zunehmend von den feudalen Verpflichtungen befreite. Ebendiese Umbruchphasen, die durch den Fall des Römischen Reiches ausgelöst wurden, verursachten die institutionellen Veränderungen, die ganz Europa beeinflussten. Dazu gibt es keine Parallele im subsaharischen Afrika, in Asien oder Amerika.
    Im 16. Jahrhundert unterschied sich Europa institutionell sehr deutlich von Nord- und Südamerika. Obwohl es nicht viel reicher war als die bedeutendsten asiatischen Kulturen in Indien oder China, hob es sich von ihnen auf entscheidende Art ab, etwa durch Einrichtung repräsentativer Institutionen. Sie sollten eine maßgebliche Rolle für die Entwicklung inklusiver Institutionen spielen. Wie wir in den beiden folgenden Kapiteln aufzeigen werden, sollte es innerhalb Europas in erster Linie auf kleine institutionelle Unterschiede ankommen, wodurch England begünstigt wurde, denn dort war die Feudalordnung am radikalsten von kommerziell denkenden Bauern und unabhängigen städtischen Zentren mit erfolgreichen Kaufleuten und Industriellen verdrängt worden. Diese Gruppen verlangten bereits verlässlichere Eigentumsrechte, neue Wirtschaftsinstitutionen und ein politisches Mitspracherecht von ihren Monarchen. Der so eingeleitete Prozess sollte sich im 17. Jahrhundert zuspitzen.

7. 
    Die Wende
    Probleme mit Strümpfen
    Im Jahr 1583 kehrte William Lee von seinem Studium an der Universität Cambridge zurück, um Ortspfarrer in Calverton zu werden. Elisabeth I. (1558–1603) hatte kurz zuvor einen Erlass herausgegeben, dass jeder ihrer Untertanen stets eine gestrickte Kopfbedeckung zu tragen habe. Lee notierte, dass »Stricker und Strickerinnen die Einzigen waren, die solche Kleidungsstücke produzieren konnten, doch es dauerte so lange, den Gegenstand fertigzustellen. Ich dachte nach und beobachtete meine Mutter und meine Schwestern, wie sie in der Abenddämmerung dasaßen und mit ihren Nadeln hantierten. Wenn Kleidungsstücke mit zwei Nadeln und einem Faden gemacht wurden, konnten dann nicht auch mehrere Nadeln den Faden verarbeiten?«
    Diese folgenschwere Überlegung führte zur Mechanisierung der Textilproduktion. Lee wurde besessen von der Vorstellung, eine Maschine zu erfinden, welche die Menschen von der endlosen Handstrickerei befreite. Er erinnerte sich: »Ich vernachlässigte meine Pflichten der Kirche und der Familie gegenüber. Der Gedanke an meine Maschine und ihre Anfertigung fraß sich in mein Herz und mein Gehirn.«
    Im Jahr 1589 war seine Strickmaschine, der »Strumpfrahmen«, mit dem man auch Mützen herstellen konnte, schließlich fertig. Aufgeregt reiste er nach London und ersuchte um eine Audienz bei Elisabeth I., um ihr zu zeigen, wie nützlich die Maschine war. Außerdem wollte er sie um ein Patent bitten, damit andere das Original nicht kopieren konnten. Er mietete ein Gebäude, wo er die Maschine aufstellte, und ließ sich von seinem örtlichen Parlamentsabgeordneten Richard Parkyns bei Henry Carey, Lord Hunsdon, einem Mitglied des Staatsrats, einführen. Carey bewog Königin Elisabeth, sich die Maschine anzusehen, doch ihre Reaktion war vernichtend. Sie weigerte sich, Lee ein Patent zu gewähren, und erklärte: »Ihr habt Euch ein hohes Ziel gesteckt, Meister Lee. Bedenkt, was die Erfindung meinen armen Untertanen antun würde. Sie würde sie ganz gewiss in den Ruin treiben, ihrer Beschäftigung berauben und zu Bettlern machen.«
    Niedergeschmettert zog Lee nach Frankreich, um dort sein Glück zu versuchen. Als er wiederum gescheitert war, kehrte er nach England zurück und bat Jakob I. (1603–1625), Elisabeths Nachfolger, um ein Patent. Jakob I. wies ihn aus den gleichen Gründen wie Elisabeth ab. Beide fürchteten, dass die Mechanisierung der Herstellung von Strickwaren destabilisierende politische Folgen haben werde. Sie könne Arbeitslosigkeit hervorrufen und damit die königliche Macht bedrohen. Der Strumpfrahmen war eine Innovation, die einen gewaltigen Produktivitätsanstieg verhieß, doch auch schöpferische Zerstörung mit sich bringen würde.

    Die Reaktion auf Lees brillante Erfindung kann als Illustration für eine Schlüsselthese dieses Buches dienen. Die Furcht vor schöpferischer Zerstörung ist der Hauptgrund dafür, dass es zwischen der

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