Warum tötest du, Zaid?
sei, aus dem sie irgendwann erwachen würden. Ich denke an all die Iraker, denen ich versprochen hatte, mich für eine friedliche Lösung des Irakkonflikts einzusetzen. An meine Hilflosigkeit, an die Hilflosigkeit vieler Publizisten, mit Fakten und Argumenten die amerikanische Kriegsmaschinerie auch nur einen Millimeter von ihrem Irrweg abzubringen. Wie naiv diese Versuche damals doch alle waren!
Zaid und der alte Mann
Abu Saeed ist wieder aufgewacht. Diesmal ist er es, der mich aus meinen Gedanken reißt. Er will mir noch einmal klarmachen, dass der irakische Widerstand Gewalt gegen Zivilpersonen kategorisch ablehne. Er dreht sich zu mir um und erzählt mir von einer Straßenbombe, die Anfang 2007 in der Ishrin-Straße, einer der Hauptverkehrsadern von Ramadi, beim Vorbeifahren einer Humvee-Patrouille gezündet werden sollte. Abu Saeed spricht sehr leise und sehr eindringlich:
»Zaid, einer meiner Neffen, hatte den Auftrag, die Bombe zu zünden. Als sich der Konvoi näherte, setzte sich ein alter Mann direkt gegenüber der Stelle, an der die Bombe gezündet werden sollte, auf einen Stein. Zaid starrte verzweifelt auf den Mann und versuchte, ihm von Weitem ein Zeichen zu geben. Ihm war klar, in wenigen Sekunden musste er die Fernzündung auslösen. Zaid fing an, am ganzen Körper zu zittern, Tränen liefen ihm über das Gesicht. Als der Konvoi an der vereinbarten Stelle ankam, wusste Zaid, dass er jetzt abdrücken musste.
Aber er drückte nicht ab. Langsam und kreidebleich öffnete er die Hand, um den Auslöser ja nicht zu berühren. Dann ließ er den Konvoi unbeschadet vorüberfahren.
Anschließend ging Zaid zu seinen Kameraden und gab ihnen schweigend den Fernzünder zurück. Alle nahmen ihn in die Arme, weil er den alten Mann verschont hatte. Sie sagten ihm, dass sie sich genauso verhalten hätten und dass es richtig war, nicht abzudrücken.«
Abu Saeed wendet sich wieder um und schweigt. »Kann ich diesen Zaid treffen?«, frage ich ihn nach einer längeren Pause. »Sie werden ihn treffen«, sagt er und schweigt wieder. Mir aber geht dieser junge Mann nicht mehr aus dem Kopf.
Abu Saeeds Geschichte
Nach einer Weile frage ich Abu Saeed, ob er durch den Krieg Familienmitglieder verloren habe. Abu Saeed beißt sich auf die Lippe. Alle Familien in Ramadi hätten Angehörige verloren. Sein ältester Bruder sei vor zwei Jahren festgenommen worden. Man habe ihn verdächtigt, Widerstandskämpfer zu sein. Er sei nie wieder aufgetaucht. Er, Abu Saeed, befürchte, dass er tot sei.
Er gehe davon aus, dass bis zu 40 000 Iraker in amerikanischen Gefängnissen eingesperrt seien. Sein ältester Sohn, der achtzehnjährige Saeed, und sein neunzehnjähriger Neffe Rashid seien im Winter 2005 in Ramadi unter dem Verdacht, Widerstandskämpfer zu sein, festgenommen worden. Beide hätten damals jedoch nicht aktiv im Widerstand gearbeitet.
Zuerst habe man sie ins amerikanische Gefängnis von Ramadi gesteckt. Dort seien sie bei den ersten Verhören geschlagen und getreten worden. Tagelang habe man sie nicht schlafen lassen, um Geständnisse zu erpressen. Danach sei Rashid ins Camp Bucca 11 , eines der amerikanischen Gefängnisse in Basra, im Süden des Landes, verlegt worden. Seinen Sohn Saeed habe man freigelassen.
Rashid, ein schmächtiger und stiller Junge, habe acht Monate im Camp Bucca verbracht. Als er zurückgekommen sei, habe er ihn fast nicht wiedererkannt – so verstört, krank und abgemagert sei er gewesen. Im Camp Bucca sei er mit mehreren Gefangenen in einem kleinen Zelt untergebracht worden. Das Zelt habe keinen Schutz gegen die kalten Sandstürme im Winter und gegen die brütende Hitze im Sommer geboten.
Als Rashid einmal die Anweisungen des Wachpersonals nicht sofort befolgte, habe man ihm seine Matratze weggenommen und seine Toilettengänge beschränkt. Als er kurz danach eine schwere Grippe mit hohem Fieber bekam, habe man ihm als zusätzliche Strafe jede medizinische Versorgung verweigert. Er sei immer wieder geschlagen und getreten worden. Rashids Eltern hätten Wochen gebraucht, um den Jungen nach seiner Rückkehr wieder einigermaßen aufzupäppeln.
Die Wunden seines Körpers habe man heilen können, die Wunden seiner Seele aber würden für immer bleiben.
Nach dem Aufenthalt im Camp Bucca habe Rashid sich sofort dem Widerstand angeschlossen. Das würden junge Menschen im Westen wahrscheinlich genauso machen.
In den irakischen Regierungsgefängnissen würden bis zu 80 000 Iraker festgehalten. Sie lebten
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