Warum tötest du, Zaid?
Straßensperren und vermummte Polizisten.
In einer kleinen Gasse hält Musa an. »Sofort aussteigen«, raunt mir Abu Saeed zu, »die Nachbarn dürfen Sie nicht sehen.« Schnell gehe ich durch ein großes Metalltor in einen kleinen Garten. Ich erblicke ein unverputztes einstöckiges Haus aus grauen Bruchsteinen, die mit weißem Zement zusammengefügt sind. Hier also wohnt Abu Saeeds Familie zusammen mit der Familie seines jüngeren Bruders Abu Hamid. Jenseits des Euphrat liegt, nur einen Steinwurf von uns entfernt, das Zentrum Ramadis.
Im Garten wimmelt es von fröhlich lachenden Kindern. Im Juli, August und September sind im Irak Schulferien. Zwei der Kleinen haben sich leere, verschlossene 1,5-Liter-Plastikwasserflaschen unter die Arme geschnallt, um ihren Eltern zu signalisieren, dass sie jetzt gerne im Euphrat schwimmen würden. Aber um zum Fluss zu kommen, braucht man wegen der Absperrungen über zwei Stunden. Früher hätten zehn Minuten gereicht. So wird es heute nichts mehr mit dem Erfrischungsbad im Euphrat. Aber vom Schwimmen zu träumen ist erlaubt.
Die älteren Kinder sitzen zusammen mit ihren Eltern in einem brütend heißen Gästezimmer und schauen fern. Der Irak ist wenige Tage zuvor Asienmeister im Fußball geworden 14 – zum ersten Mal in der Geschichte des Landes. Staunend, noch immer ungläubig, sitzen alle vor dem TV-Gerät und schauen zu, wie das irakische Fernsehen
wieder und wieder die Tore der irakischen Mannschaft zeigt.
Die Nationalmannschaft des Irak besteht aus Schiiten und Sunniten, aus Arabern und Kurden. Das entscheidende Tor im Endspiel gegen Saudi-Arabien schoss der Sunnit Younes nach einem Eckball des Kurden Hawar. Karrar, der Organisator des Mittelfelds, ist Schiit. »Wenn wir zusammenhalten, können wir alles schaffen«, sagt Abu Saeed und wischt sich verstohlen eine Träne aus dem Auge. Er ist nicht der Einzige in der Familie, der feuchte Augen hat.
Inzwischen sind fast alle Männer, Jungs und Mädchen im Gästeraum versammelt. Für mich eine gute Gelegenheit, den Medikamentenkoffer auszupacken, den ich als Gastgeschenk aus Deutschland mitgebracht habe. Meine irakischen Freunde aus Bagdad und auch Abu Saeed hatten mich gebeten, mich so lange wie möglich als Arzt auszugeben. Falls kompliziertere Fälle auftreten sollten, wollte Abu Saeed einen befreundeten Arzt aus Ramadi hinzuziehen. Das hatte er mir fest versprochen.
Der Respekt der Kinder steigt erheblich, als sie sehen, wie sachkundig ich Abu Saeed die einzelnen Medikamente meiner Hausapotheke erkläre. Nur als ich darauf hinweise, die Medikamente müssten kühl gelagert werden, fangen alle an zu lachen. Städtischen Strom gibt es nur noch wenige Stunden am Tag. Und der alte Hausgenerator gibt nach maximal einer Stunde regelmäßig seinen Geist auf.
Außerdem ist Treibstoff im Irak inzwischen so teuer, dass die Familie den Generator ohnehin nicht Tag und Nacht laufen lassen kann. Vor der amerikanischen Invasion kostete ein Liter Benzin zwischen einem und zwei Cent. Heute liegt der Preis zwischen 40 Cent und einem Dollar. In manchen Städten, wie in Bakuba, müssen für
den Liter bereits zwei Dollar bezahlt werden. j Bakuba ist nur hundert Kilometer vom zweitgrößten Ölfeld des Irak entfernt.
Es ist 18 Uhr. Im Gästezimmer ist es inzwischen so heiß, dass alle in den Garten strömen. Die riesigen Palmen werfen jetzt lange Schatten. Ich gehe zum Waschraum und nehme eine Dusche. Das Wasser aus dem Metalltank ist durch die Sonneneinstrahlung so aufgeheizt, dass ich mich fast verbrenne. Trotzdem habe ich selten eine Dusche so genossen. Entspannt setze ich mich auf einen der weißen Plastikstühle in Abu Saeeds Garten.
Der Garten besteht aus einem etwa 20 mal 15 Meter großen Rasen, der von schmalen Blumenbeeten eingerahmt wird. Die Kinder schnappen sich einen halbplatten Gummifußball und beginnen barfuß Fußball zu spielen. Fünf ungefähr zehnjährige Buben spielen gegen drei etwa zwanzigjährige Jungs. Die Älteren haben große Mühe, mit den Kleinen mitzuhalten, die mit tausend Tricks versuchen, ihre körperliche Unterlegenheit auszugleichen.
Zaid und der »doppelte Übersteiger«
Abu Saeeds vierjähriger Sohn Ali steht etwas verloren neben dem Spielfeld. Er würde gerne mitmachen, aber dazu ist er noch zu klein. Als die beiden Mannschaften eine Pause einlegen – das Thermometer zeigt immerhin noch 45 Grad an –, nehme ich mir den Ball und versuche, Ali einen Trick beizubringen: den sogenannten doppelten
Weitere Kostenlose Bücher